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BGH: Bank und Kapitalrecht: Widerruf eines bereits vorzeitig abgelösten Verbraucherdarlehensvertrages

Leitsätze

1. Schließen mehrere Verbraucher als Darlehensnehmer mit einem Unternehmer als Darlehensgeber einen Verbraucherdarlehensvertrag, kann jeder von ihnen seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung selbstständig widerrufen. Die Rechtswirkungen des Widerrufs im Verhältnis zwischen dem Darlehensgeber und den übrigen Darlehensnehmern richten sich nach § 139 BGB.
2. Zur Gesetzlichkeitsfiktion einer Widerrufsbelehrung, die das Muster für die Widerrufsbelehrung um den Zusatz ergänzt, bei mehreren Darlehensnehmern könne jeder Darlehensnehmer seine Willenserklärung gesondert widerrufen.
3. Der Ausübung eines mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung nicht befristeten Widerrufsrechts steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Parteien den Verbraucherdarlehensvertrag zuvor gegen Leistung eines Aufhebungsentgelts einverständlich beendet haben.
4. Zur Verwirkung des Widerrufsrechts bei vorzeitig einvernehmlich beendeten Verbraucherdarlehensverträgen.

 

A.
Problemstellung
Die für die Sammlung BGHZ vorgesehene Leitsatzentscheidung des XI. Zivilsenats des BGH behandelt den in der Praxis der Immobilienfinanzierung häufig vorkommenden Fall, dass der Darlehensnehmer den Realkredit aus Anlass der Veräußerung der Immobilie vor dem für die Rückführung der Valuta vereinbarten Zeitpunkt im Wege der Ablösung durch ein Drittinstitut zurückzahlen will. In einem solchen Fall ist die Bank zu einer Aufhebungsvereinbarung regelmäßig nur gegen Zahlung eines Vorfälligkeitsentgelts bereit. Wenn sodann nach Abwicklung dieses Geschäfts der Verbraucher den Widerruf seiner Willenserklärung auf Abschluss des (inzwischen beendeten) Darlehensvertrages erklärt, stellen sich verschiedene Fragen, denen das vorliegende Urteil nachgeht. Es vermag jedoch nicht in allen Punkten zu überzeugen.
B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger, zwei Piloten, erhielten von der beklagten Landesbank Baden-Württemberg im Jahr 2004 mehrere Verbraucherdarlehen in Höhe von insgesamt 997.000 Euro zur Ablösung eines bestehenden Immobiliarkredits. Die hierzu erteilte Widerrufsbelehrung orientierte sich an dem amtlichen Muster (Fristbeginn: „frühestens“), ließ jedoch die dort vorgegebene Zwischenüberschrift „Widerrufsrecht“ aus, kumulierte unter der Überschrift „Finanzierte Geschäfte“ den alternativen Hinweis für Darlehensverträge und für den finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder eines grundstücksgleichen Rechts und fügte der Belehrung noch eine Ergänzung für „Mehrere Darlehensnehmer“ an, wonach „jeder Darlehensnehmer seine Willenserklärung gesondert widerrufen kann“.
Als die Kläger im Jahre 2012 die Immobilie veräußern wollten und sich deswegen an die Beklagte wandten, bot diese ihnen die „Aufhebung der Darlehen“ gegen Zahlung eines Aufhebungsentgelts von insgesamt 64.670,64 Euro an. Die Kläger nahmen das Angebot am 17.04.2012 an. Am 09.10.2013 widerriefen sie ihre Darlehensvertragserklärungen. Sie begehren Erstattung der von ihnen geleisteten Aufhebungsentgelte und verlangten die Herausgabe der hieraus gezogenen Nutzungen i.H.v. fünf Prozentpunkten über Basiszinssatz.
Während das LG Stuttgart der Klage in vollem Umfang stattgab, minderte das OLG Stuttgart den Nutzungsersatz auf 2,5 Prozentpunkte über Basiszins und wies die Berufung der Beklagten im Übrigen zurück. Auf die – vom Oberlandesgericht zugelassene – Revision wies der Senat die Rechtssache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück. Auch nach Auffassung des Senats entsprach die Widerrufsbelehrung nicht den gesetzlichen Vorgaben, so dass der Widerruf der Kläger wirksam ist. Zwar gebe es an der Belehrung nichts auszusetzen, soweit die Beklagte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, die mehreren Darlehensnehmer auf ihre Einzelbefugnis zur Ausübung des Widerrufsrechts hingewiesen habe. Jedem Verbraucher stehe unabhängig von dem Mitdarlehensnehmer ein eigenständiges Widerrufsrecht zu, das im Falle seiner Ausübung den ganzen Vertrag nach § 139 BGB regelmäßig in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umwandelt (Leitsatz 1). Daher sei der zusätzlich von der Beklagten aufgenommene Hinweis, auch soweit er die Rechtsfolgen des Widerrufs jedes der mehreren Darlehensnehmer betreffe, jedenfalls der Sache nach richtig (Rn. 22 a.E.).
Diese rechtlich richtige Information, die über die vom Muster für die Widerrufsbelehrung behandelten Themen hinausgehe, führe nicht zum Verlust der Gesetzlichkeitsfiktion des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV. Denn es handele sich insoweit um eine inhaltliche Vervollständigung des Mustertextes (Leitsatz 2).
Der Senat hat dabei jedoch völlig übersehen, dass die in den Leitsätzen 1 und 2 behandelten Rechtsfragen bereits Gegenstand des Urteils des 6. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 20.05.2014 (6 U 182/13) gewesen sind und er die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger mit Beschluss vom 07.07.2015 (XI ZR 253/14) kurzerhand und – wie üblich – ohne nähere Begründung zurückgewiesen hat.
Gleichwohl könne sich die Beklagte nicht auf die Musterbelehrung berufen, weil sie diese einer inhaltlichen Bearbeitung (Auslassung der Zwischenüberschrift und Kombination der Texte zum finanzierten Geschäft) unterzogen habe (Rn. 27). Daher sei mangels wirksamer Belehrung die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass der Widerruf noch im Jahr 2013 habe wirksam erklärt werden können. Dem stehe insbesondere nicht entgegen, dass die Parteien im Jahr zuvor die Darlehensverträge einvernehmlich „aufgehoben“, d.h. vorzeitig beendet haben. Allerdings gebe der Umstand, dass die Vertragsbeendigung auf den Wunsch der Verbraucher zurückgehe, in besonderem Maße Anlass zur Prüfung, ob das Vertrauen des Unternehmens auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein könne. Dieser Frage sei das Oberlandesgericht nicht hinreichend nachgegangen. Es habe schon den für das Zeitmoment maßgeblichen Zeitpunkt (Zustandekommen des Verbrauchervertrages, hier: im Jahre 2004) verfehlt und außerdem gegen eine Verwirkung das Fehlen einer Nachbelehrung ins Feld geführt, die aber nach Beendigung der Verträge von der Beklagten nicht habe erwartet werden können (Rn. 31).
Rechtlich nicht zu beanstanden sei schließlich, dass das Oberlandesgericht den Anspruch auf Erstattung des Aufhebungsentgelts aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB hergeleitet habe. Obwohl das Berufungsgericht eine explizite Begründung hierfür nicht gegeben hat, weiß sich der XI. Zivilsenat mit dem Berufungsgericht darin einig, „die Kläger hätten die Aufhebungsentgelte in Erfüllung von sich aus den modifizierten Darlehensverträgen ergebenden Forderungen“ geleistet (Rn. 34). Denn die Auslegung des der „Aufhebungsvereinbarung“ zugrunde liegenden Parteiwillens ergebe („aus den gesamten Fallumständen“), dass kein neuer Schuldgrund geschaffen, sondern lediglich (vorzeitig) auf das Darlehen selbst gezahlt werden sollte (Rn. 33). Daher seien die Zahlungen nach Darlehenswiderruf als „empfangene Leistungen“ zurück zu gewähren.
BGH 11. Zivilsenat, Urteil vom 11.10.2016 – XI ZR 482/15
 

 

Herausgeber:

Prof. Dr. Stephan Meder, Universität Hannover
Dr. Anna-Maria Beesch, RA’in und FA’in für Bank- und Kapitalmarktrecht
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