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Schmerzensgeld: OLG Hamm 200.000 EUR für den Verlust 2er Nieren nach ärztlichen Kunstfehler

Wird bei einer jugendlichen Patientin (15 Jahre) die Ursache eines erhöhten Blut- drucks (160/100) nicht abgeklärt, ist der Hausärztin ein Befunderhebungsfehler zur Last zu legen. Kommen weitere Alarmzeichen – mehrfache Bewusstlosigkeit – hinzu, ist die mangelnde Befunderhebung als grober Behandlungsfehler der Hausärztin zu werten. Für den Verlust beider Nieren, die Dialysep icht und 53 Folgeoperationen – darunter erfolglose Nierentransplantationen – ist bei einer jugendlichen Patientin ein Schmerzensgeld von 200.000 € angemessen.

Fall:

Die Klägerin nahm die Beklagte wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung (Verkennung einer Schrumpfniere) auf Schmerzensgeldzahlung sowie Feststellung zukünftiger Ersatzp icht in Anspruch.

Die damals 15-jährige Klägerin befand sich jahrelang in regelmäßiger hausärztlicher Behandlung der Beklagten.

In den letzten zwei Jahren der Behandlungszeit stellte sich die Klägerin häu ger
mit verschiedenen Beschwerden (Kopfschmerzen, wiederkehrendem starken Hus- ten, Schlafproblemen sowie einer Schwellung im Fuß) in der Praxis der Beklagten
vor. Dabei und danach wurde wiederholt eine Hypertonie festgestellt. Bei der Klägerin bestand zu diesem Zeitpunkt zudem eine krankhafte Fettsucht mit einem Body-Mass-Index von 37 und ein Nikotinabusus. Am 12.11.2001 stellte sich die Klägerin erneut in der Praxis der Beklagten vor. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie aufgrund von Kreislaufproblemen viermal bewusstlos geworden. Die Klägerin teilte der Beklagten zugleich mit, dass sie sich bei anderen Ärzten wegen vorgenannter Kreislaufprobleme nicht vorgestellt habe. Die Beklagte stellte der Klägerin daraufhin eine Überweisung zum Internisten bzw. Kardiologen zur weiteren Diagnostik einer sekundären Hypertonie aus und bot der Klägerin weitere regelmäßige Blutdruckkon- trollen in den Abendstunden an, die von der Klägerin jedoch nicht wahrgenommen wurden. Die Beklagte führte während der Behandlung der Klägerin seit Februar 2001 keine Untersuchung der Blut- und Nierenwerte durch. In der Folgezeit wurden bei der Klägerin beidseitige Schrumpfnieren diagnostiziert. Sie unterzog sich zwei Nieren- transplantationen (Lebendspenden ihrer Eltern), die jedoch fehlschlugen.

Rechtliche Beurteilung:

Das OLG führte u.a. aus:

Gestützt auf die ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen ist die unterlas- sene Befunderhebung vom 12.11.2001 zur Überzeugung des Senats als ein grober Befunderhebungsfehler in Form der Unterlassung elementar gebotener diagnos- tischer Maßnahmen anzusehen. Die Bewusstlosigkeit oder Synkope bedeutet den völligen Verlust des Bewusstseins für Sekunden oder Minuten. Eine mehrfache Bewusstlosigkeit ist ein sehr ernstzunehmender Befund. Das Unterbleiben weiterge- hender Diagnostik ist aus medizinischer Sicht nach Einschätzung des Sachverständi- gen, der sich der Senat anschließt, überhaupt nicht mehr nachvollziehbar und stellt einen groben Behandlungsfehler dar. Da am 12.11.2001 trotz hoher Dringlichkeit keine Blutdruckwerte der Klägerin vorgelegen haben, hätte es angesichts der mehrfa- chen Bewusstlosigkeit sogar einer stationären Abklärung und einer Überweisung ins Krankenhaus bedurft. Diesen schwerwiegenden Symptomen – wie im Streitfall – nicht nachzugehen, verstößt nach Angabe des Sachverständigen gegen das „Dickgedruckte“ und stellt trotz der ohne eigene Diagnostik erfolgten Überweisung der Klägerin zu einem Kardiologen einen groben Behandlungsfehler dar, der zu einer Beweislas-tumkehr zugunsten der Klägerin hinsichtlich der Kausalität der von der Beklagten zu vertretenden zeitlichen Verzögerung der Feststellung und Behandlung der Grunder-krankung für den eingetretenen Gesundheitsschaden führt.

Die Klägerin kann gemäß § 253 Abs. 2 ZPO ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen, dessen Höhe der Senat mit 200.000 € bemisst.

Dabei ist insbesondere der besonders komplikationsträchtige Krankheitsverlauf, der schließlich nach zwei erfolglosen Nierentransplantationen zu einer erneuten, dau- erhaften Dialysep icht der Klägerin geführt hat, zu berücksichtigen. Die Klägerin befand sich vielfach langfristig in Krankenhäusern und musste sich mittlerweile 53 Operationen unterziehen. Neben der Länge der Behandlungszeit ist für die Höhe des Schmerzensgeldes bestimmend, dass die Klägerin trotz ihres immer noch jungen Al- ters nach wie vor erheblich beeinträchtigt ist und auch ihr gesamtes weiteres Leben lang in erheblichem Umfang beeinträchtigt sein wird. Es fällt besonders ins Gewicht, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der fehlerhaften Behandlungen erst 15 Jahre alt war und dementsprechend den Großteil ihres Lebens mit den durch die fehlerhafte Behandlung verursachten massiven Beeinträchtigungen zurechtkommen muss. Dabei bedingt bereits die dreimal pro Woche vorzunehmende Dialyse eine tiefgreifende Belastung der Lebensführung der Klägerin. Hinsichtlich der Zukunftsprognose der Klägerin kann nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass nach Angabe des Sachverständigen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Klägerin binnen eines Jahres eine neue Niere für eine dritte Transplantation erhält, wenn sie auf der High-Urgency-Liste akzeptiert wird. Wird sie dort nicht akzeptiert, besteht zumin- dest eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie über die normale Liste innerhalb von fünf Jahren eine neue Niere erhält. Auf der anderen Seite verbleibt für die Klägerin bis dahin eine bedrückende Unsicherheit, wann sie berücksichtigt wird und ob dies rechtzeitig geschehen kann. Zudem ist aufgrund der Abstoßung der ersten Niere bei der Klägerin die Erfolgswahrscheinlichkeit reduziert, dass nun die dritte Transplanta- tion erfolgreich sein wird. In der Höhe hält sich das Schmerzensgeld in dem von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen – unter Berücksichtigung des In ationsaus- gleichs – gezogenen Rahmen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. 9. 1994 zit. nach Hacks/

Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge), wobei hier besonders zu beachten ist, dass es im Streitfall zum Verlust beider Nieren und bereits zu zwei letztlich erfolglosen Nierentransplantationen gekommen ist.

OLG Hamm, Urteil vom 3. 7. 2015 – 26 U 104/14 –

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