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Versicherungsrecht: Bundesgerichtshof: Kündigung einer Pflichtversicherung bei Nachweis der Anschlussversicherung wirksam

Leitsatz

Die vom Versicherungsnehmer erklärte Kündigung eines Krankenversicherungsvertrages, der eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, wird erst im Zeitpunkt des Zugangs des Nachweises der Anschlussversicherung beim bisherigen Versicherer wirksam. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim bisherigen Versicherer kommt nicht in Betracht.

 

A.
Problemstellung
Mit der Entscheidung des BGH findet ein weiteres mit der Reform des privaten Krankenversicherungsrechts durch das GKV-WSG (Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.03.2007, BGBl. I, 378) geschaffenes Problem ein zumindest vorläufiges Ende. Der Versicherungssenat stellt in einem bemerkenswerten obiter dictum klar, dass das Nachreichen des nach § 205 Abs. 6 VVG erforderlichen Nachweises zur Kündigung einer Pflichtversicherung i.S.d. § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim bisherigen Versicherer zurückwirkt.
B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der bereits privat krankenversicherte Beklagte hatte bei der Klägerin mit Versicherungsbeginn zum 01.02.2009 einen Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Wegen einer Verzögerung bei der Kündigung der Vorversicherung des Klägers wurde der Vertragsbeginn am 26.02.2009 einvernehmlich auf den 01.12.2009 hinausgeschoben. Der Zeitpunkt des Zugangs des insoweit „korrigierten“ Versicherungsscheins nebst Widerrufsbelehrung beim Beklagten steht nicht fest. Mit Schreiben vom 10.06.2009, das mit „Widerruf/Kündigung Versicherung“ überschrieben war, widerrief der Beklagte den Antrag zu der streitgegenständlichen (Folge-)Versicherung bei der Klägerin. Diese wies das Ansinnen zurück. Mit Schreiben vom 18.06.2009 bestätigte der bisherige Krankenversicherer dem Beklagten, dass dieser nach Rücknahme seiner Kündigung bei ihm über den 31.12.2009 hinaus krankenversichert sei. Das Berufungsgericht hat unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils der Klage auf Versicherungsprämien für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 01.04.2010 stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten hat der BGH das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Der Beklagte habe den ursprünglichen Vertrag mit Vertragsbeginn zum 01.02.2009 nicht fristgerecht widerrufen, da der Widerruf vom 10.06.2009 für diesen ursprünglichen Vertrag verfristet gewesen sei. Dieser Widerruf habe sich nur noch auf den Änderungsvertrag betreffend das Hinausschieben des Vertragsbeginns auf den 01.12.2009 beziehen können. Das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 1 VVG erfasse nämlich nicht nur den erstmaligen Abschluss eines Vertrages, sondern auch später vorgenommene einvernehmliche Änderungen. Es könne dabei offen bleiben, ob dies unabhängig von Umfang und Bedeutung der Änderungen gelte, da sich der Widerruf stets nur auf die geänderten Bestimmungen des Vertrages beziehe, während der Vertrag im Übrigen – soweit bei diesem das Widerrufsrecht abgelaufen sei – bestehen bleibe. Der Widerruf des Änderungsvertrages mit dem Hinausschieben des Beginns des Versicherungsverhältnisses auf den 01.12.2009 habe hiernach lediglich bewirkt, dass es bei dem ursprünglich geschlossenen Vertrag mit dem Beginn zum 01.02.2009 verbleibe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien den ursprünglich geschlossenen Vertrag einvernehmlich aufgehoben und sodann einen vollständig neuen Vertrag geschlossen hätten.
Rechtsfehlerhaft gehe das Berufungsgericht davon aus, dass in dem Schreiben des Beklagten vom 10.06.2009 keine wirksame Kündigung des Versicherungsvertrages liegen könne. Gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG könne der Versicherungsnehmer vorbehaltlich einer vereinbarten Mindestversicherungsdauer bei der Krankheitskostenversicherung ein Krankenversicherungsverhältnis, das für die Dauer von mehr als einem Jahr eingegangen ist, zum Ende des ersten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten kündigen. Das Schreiben des Beklagten vom 10.06.2009 lasse den Schluss zu, dass der Beklagte sich in jedem Fall vom Vertrag lösen wollte, möglichst von Anfang an durch Widerruf, jedenfalls aber durch Kündigung. Diese sei nach § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG (Kündigung zum Ende eines jeden Versicherungsjahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten) angesichts des „Teilwiderrufs“ rechtzeitig erklärt und habe mithin grundsätzlich zur Beendigung des Versicherungsvertrages zum 31.01.2010 führen können.
Um nach Zurückverweisung des Rechtsstreits entscheiden zu können, ob die Kündigung tatsächlich wirksam sei, müsse zunächst überprüft werden, ob gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei, weil wirksam eine bestimmte Mindestversicherungsdauer vereinbart wurde. § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG gelte nämlich auch für Versicherungsverträge, die von vornherein auf unbefristete Zeit geschlossen sind. Handele es sich bei dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag um eine Pflichtkrankenversicherung i.S.v. § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG, gelte aber § 205 Abs. 6 VVG, wonach eine Kündigung erst wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist. Diese Kündigung entfalte erst zum Zeitpunkt der Vorlage des Nachweises der Anschlussversicherung bei dem Vorversicherer Wirkung, also ex-nunc. Hierfür spreche nicht nur der Wortlaut des § 205 Abs. 6 Satz 2 VVG, sondern auch das berechtigte Interesse des Versicherers daran, möglichst zeitnah Klarheit über die Wirksamkeit einer Kündigung zu erlangen. Die Gefahr des Bestehens einer zeitweisen Doppelversicherung falle in die Sphäre des Versicherungsnehmers.
BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 12.09.2012 – IV ZR 258/11
Bernhard von Boehn Rechtsanwalt
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