Die Haftungskette bei unterlassener Beratung – Ihre Rechte als Geschädigter
Die Fahrerschutzversicherung: Eine verkannte Absicherung
Die Fahrerschutzversicherung schließt eine gravierende Lücke im deutschen Versicherungssystem: Als Fahrer eines Kraftfahrzeugs sind Sie bei einem selbst verursachten Unfall durch die Kfz-Haftpflichtversicherung nicht geschützt. Während alle Mitfahrer und sonstigen Unfallbeteiligten Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen können, geht der Fahrer selbst leer aus – eine Situation, die vielen Versicherungsnehmern nicht bewusst ist.
Das Kernproblem: Der ungeschützte Fahrer
Bei einem Alleinunfall (z.B. Abkommen von der Fahrbahn ohne Fremdeinwirkung) oder einem selbst verschuldeten Unfall hat der Fahrer keinen Anspruchsgegner für seine Personenschäden. Die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung zahlt nicht für Schäden des Versicherungsnehmers selbst. Schwere Verletzungen können hier zur finanziellen Katastrophe führen.
Funktionsweise der Fahrerschutzversicherung
Die Fahrerschutzversicherung stellt den Fahrer wirtschaftlich so, als hätte er einen Anspruch gegen einen Dritten. Sie übernimmt die typischen Schadenspositionen eines Personenschadens nach dem Prinzip der Haftpflichtentschädigung:
- Schmerzensgeld: Ausgleich für erlittene körperliche und seelische Beeinträchtigungen
- Verdienstausfall: Ersatz des entgangenen Einkommens während der Arbeitsunfähigkeit
- Haushaltsführungsschaden: Entschädigung für die Beeinträchtigung bei der Führung des eigenen Haushalts (OLG Celle: 15 EUR/Stunde)
- Heilbehandlungskosten: Übernahme medizinisch notwendiger Behandlungen über den Kassenanteil hinaus
- Erwerbsschaden: Dauerhafte Einkommenseinbußen bei bleibenden Beeinträchtigungen
Subsidiaritätsprinzip beachten
Die Fahrerschutzversicherung leistet subsidiär: Sie greift nur, wenn keine Ansprüche gegen Dritte bestehen oder diese nicht ausreichen. Besteht eine (Teil-)Haftung eines Unfallgegners, ist dessen Haftpflichtversicherung vorrangig in Anspruch zu nehmen.
Fahrerschutz vs. Insassenunfallversicherung
In der Beratungspraxis werden die Fahrerschutzversicherung und die Insassenunfallversicherung häufig verwechselt oder gleichgesetzt – ein folgenschwerer Fehler, da beide Produkte grundlegend unterschiedliche Leistungskonzepte verfolgen:
| Merkmal | Fahrerschutz | Insassenunfall |
| Leistungsprinzip | Schadensersatz nach Haftpflichtgrundsätzen | Summenmäßige Leistung nach Gliedertaxe |
| Geschützter Kreis | Nur der Fahrer | Alle Insassen inkl. Fahrer |
| Leistungsumfang | Umfassend: Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden | Begrenzt: Invaliditätsleistung, Todesfallleistung |
| Anrechnung | Auf Drittansprüche anzurechnen (Subsidiarität) | Zusätzlich zu Drittansprüchen (Summenprinzip) |
Vgl. Knappmann, ZAP Fach 9, 871-876 (2015); Becker/Rohr, ZfSch 2018, 364-368
Haftung des Versicherungsvermittlers bei Beratungsfehlern
Die Beratungspflichten von Versicherungsvertretern und -maklern sind seit der VVG-Reform 2008 in §§ 6, 61 VVG gesetzlich normiert. Eine Verletzung dieser Pflichten kann zu erheblichen Schadensersatzansprüchen führen – insbesondere wenn der Vermittler es versäumt, auf die Notwendigkeit einer Fahrerschutz- oder Insassenunfallversicherung hinzuweisen.
Umfang der Beratungspflicht
Der Versicherungsvermittler schuldet eine anlassbezogene, bedarfsgerechte Beratung. Bei der Beratung zu einer Kfz-Versicherung gehört es zu seinen Pflichten, den Kunden auf bestehende Deckungslücken hinzuweisen – insbesondere auf den fehlenden Schutz des Fahrers bei Alleinunfällen.
Der BGH zur Beratungspflicht: Der Versicherungsvermittler muss den Versicherungsnehmer ungefragt auf erkennbare Deckungslücken hinweisen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kunde erkennbar einen umfassenden Schutz anstrebt oder wenn die fehlende Deckung erhebliche wirtschaftliche Risiken birgt.
Unterschiede: Makler vs. Vertreter
| Aspekt | Makler | Vertreter (Agent) |
| Rechtsstellung | Sachwalter des Kunden (§ 59 III VVG) | Vertreter des Versicherers (§ 59 II VVG) |
| Produktauswahl | Marktweite Analyse geschuldet | Beschränkt auf eigenes Portfolio |
| Haftungsmaßstab | Strenger: Hinweis auf alle Marktoptionen | Milder: Hinweis auf Portfoliogrenzen |
Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 30.04.2012 – 18 U 141/06; Werber, VersR 2010, 553-559
Schadensersatzansprüche gegen den Vermittler
Verletzt der Versicherungsvermittler seine Beratungspflichten und erleidet der Kunde dadurch einen Schaden, haftet er nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) bzw. aus Delikt (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 61 VVG).
Typische Konstellation
Der Vermittler berät einen Kunden zur Kfz-Versicherung, empfiehlt jedoch weder die Fahrerschutzversicherung noch eine Insassenunfallversicherung. Der Kunde verursacht später einen Alleinunfall und erleidet schwere Verletzungen. Da kein Dritter haftet und keine entsprechende Versicherung besteht, trägt er den gesamten Personenschaden selbst.
Der Schadensersatzanspruch umfasst:
Den entgangenen Versicherungsschutz (hypothetische Versicherungsleistung), alle Schadenspositionen, die bei ordnungsgemäßer Beratung versichert gewesen wären, sowie die Kosten der Rechtsverfolgung gegen den Vermittler.
Beweislastfragen
Im Prozess gegen den Vermittler gelten folgende Beweislastregeln: Der Kunde muss die Pflichtverletzung (unterlassene Beratung) und den Schaden darlegen. Bei nachgewiesener Pflichtverletzung greift jedoch eine Beweislastumkehr: Der Vermittler muss beweisen, dass der Kunde bei ordnungsgemäßer Beratung den empfohlenen Versicherungsschutz nicht abgeschlossen hätte – ein in der Praxis selten gelingender Nachweis.
Anwaltshaftung: Wenn auch der Rechtsanwalt versagt
Die Haftungskette endet nicht beim Versicherungsvermittler. Auch der mit der Unfallregulierung beauftragte Rechtsanwalt kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er es versäumt, seinen Mandanten auf mögliche Ansprüche gegen den Versicherungsvermittler hinzuweisen.
Pflicht zur umfassenden Anspruchsprüfung
Der Rechtsanwalt schuldet seinem Mandanten eine umfassende rechtliche Betreuung. Bei der Bearbeitung eines Verkehrsunfalls mit Personenschaden gehört es zu seinen Pflichten, sämtliche in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen – nicht nur die offensichtlichen Ansprüche gegen den Unfallgegner oder dessen Haftpflichtversicherer.
BGH-Grundsatz zur Anwaltshaftung: Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, den sichersten Weg zur Durchsetzung der Interessen seines Mandanten zu wählen. Dazu gehört die Prüfung aller rechtlich und tatsächlich in Betracht kommenden Anspruchsgegner. Unterlässt er dies schuldhaft, haftet er für den dadurch entstandenen Schaden (vgl. BGH NJW 2009, 987).
Typische Pflichtverletzung
Ein Mandant erleidet bei einem Alleinunfall schwere Verletzungen. Er beauftragt einen Rechtsanwalt mit der Prüfung seiner Ansprüche. Der Anwalt stellt fest, dass kein Dritter haftet und keine Fahrerschutzversicherung besteht – und teilt dem Mandanten mit, es bestünden keine durchsetzbaren Ansprüche.
Was der Anwalt übersieht: Der Mandant wurde bei Abschluss seiner Kfz-Versicherung von einem Versicherungsmakler beraten, der nicht auf die Möglichkeit einer Fahrerschutzversicherung hingewiesen hat. Hier besteht ein möglicher Schadensersatzanspruch gegen den Makler – den der Anwalt hätte prüfen und seinem Mandanten mitteilen müssen.
Rechtsfolgen der Anwaltshaftung
Der Mandant kann vom Anwalt verlangen, so gestellt zu werden, als hätte dieser ordnungsgemäß beraten. Der Schaden entspricht dem Betrag, den der Mandant bei rechtzeitiger Geltendmachung vom Versicherungsvermittler hätte erlangen können. Ist der Anspruch gegen den Vermittler zwischenzeitlich verjährt, haftet der Anwalt für den vollständigen Schaden.
Verjährungsproblematik
Besonders brisant: Die dreijährige Verjährungsfrist für Ansprüche gegen den Versicherungsvermittler beginnt mit Kenntnis des Schadens – also regelmäßig mit dem Unfall. Verstreicht diese Frist, weil der Anwalt den Anspruch nicht erkannt hat, kann der Mandant den Anwalt in Regress nehmen. Die Anwaltshaftung wird so zum Auffangtatbestand für versäumte Vermittlerhaftungsansprüche.
Praxishinweise für Geschädigte
Vorgehen bei Verdacht auf Beratungsfehler
- Dokumentation sichern: Beratungsprotokolle, E-Mail-Verkehr, Versicherungsanträge und -policen zusammenstellen
- Beratungsinhalt rekonstruieren: Wurden Deckungslücken angesprochen? Wurde auf alternative Produkte hingewiesen?
- Verjährung beachten: Die reguläre Verjährungsfrist beträgt drei Jahre ab Kenntnis des Schadens (§ 195, 199 BGB)
- Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung: Prüfen, ob eine solche beim Vermittler besteht (gesetzlich vorgeschrieben nach § 34d GewO)
Die Durchsetzung von Ansprüchen gegen Versicherungsvermittler erfordert versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Als Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hannover verfüge ich über langjährige Erfahrung in der Vertretung geschädigter Versicherungsnehmer – sowohl gegen Versicherer als auch gegen deren Vermittler.
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Rechtsprechung und Literatur
- Knappmann, Die Insassenunfallversicherung und die Fahrerschutzversicherung in der Kraftfahrtversicherung, ZAP Fach 9, 871-876 (2015)
- Becker/Rohr, Die Fahrerschutzversicherung – Eine Bestandsaufnahme, ZfSch 2018, 364-368
- Becker, Die Fahrerschutzversicherung in der anwaltlichen Unfallschadenversicherung, ZfSch 2015, 10-14
- Werber, Beratungspflichten und Haftungsbeschränkung, VersR 2010, 553-559
- OLG Hamm, Urt. v. 30.04.2012 – 18 U 141/06 (Haftung des Versicherungsmaklers)
- §§ 6, 59, 61 VVG; § 34d GewO
Kanzlei von Boehn | Rechtsanwalt Bernhard von Boehn
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