Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen am Arbeitsplatz
Mobbing im Arbeitsrecht: Kein eigenständiger Rechtsbegriff
Mobbing am Arbeitsplatz ist ein weit verbreitetes Phänomen mit oft gravierenden Folgen für die Betroffenen. Dennoch ist „Mobbing“ kein eigenständiger Rechtsbegriff und keine eigene Anspruchsgrundlage im deutschen Recht. Die Rechtsprechung – insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – hat jedoch Grundsätze entwickelt, wann Mobbing-Verhalten Schadensersatzansprüche auslösen kann.
Definition: Mobbing wird von der Rechtsprechung definiert als das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte, das das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzt.
Anspruchsgrundlagen bei Mobbing
Da Mobbing keine eigene Anspruchsgrundlage darstellt, müssen Betroffene ihre Ansprüche auf die allgemeinen zivilrechtlichen Grundlagen stützen:
| Anspruchsgrundlage | Geschütztes Rechtsgut | Rechtsfolge |
| § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG | Allgemeines Persönlichkeitsrecht | Geldentschädigung (subsidiär) |
| § 823 Abs. 1 BGB | Gesundheit (körperlich/psychisch) | Schmerzensgeld + Schadensersatz |
| § 280 Abs. 1 BGB | Vertragliche Fürsorgepflicht | Schadensersatz (auch immateriell) |
| § 15 AGG | Diskriminierungsmerkmale | Entschädigung (Frist: 2 Monate!) |
Subsidiarität des Geldentschädigungsanspruchs
Ein zentraler Grundsatz der BAG-Rechtsprechung betrifft die Subsidiarität des Anspruchs auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung:
Wichtig: Der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist subsidiär. Er besteht nur, wenn die Verletzung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann.
Wann greift die Subsidiarität?
Die Subsidiarität bedeutet: Bevor ein Geldentschädigungsanspruch geltend gemacht werden kann, müssen andere Rechtsbehelfe ausgeschöpft oder als unzureichend erkannt worden sein:
- Unterlassung: Kann die Verletzung durch Unterlassen künftiger Handlungen beseitigt werden?
- Widerruf: Kann die Verletzung durch Widerruf ehrverletzender Äußerungen ausgeglichen werden?
- Gegendarstellung: Reicht eine Richtigstellung aus?
- Beseitigung: Können die Folgen der Verletzung anderweitig beseitigt werden?
Wann greift die Subsidiarität NICHT?
Ausnahme – Gesundheitsverletzung: Liegt eine Verletzung der Gesundheit (körperlich oder psychisch) vor, greift die Subsidiarität nicht. Der Geschädigte kann dann direkt Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB verlangen – ohne dass andere Rechtsbehelfe vorrangig sein müssen.
Zwei Wege zum Schadensersatz: Mit und ohne Gesundheitsschaden
| Ohne Gesundheitsschaden | Mit Gesundheitsschaden |
| Nur Persönlichkeitsrechtsverletzung | Körperliche oder psychische Erkrankung |
| Geldentschädigung ist SUBSIDIÄR | Schmerzensgeld DIREKT einklagbar |
| Vorrang: Unterlassung, Widerruf, Gegendarstellung | Keine Vorrangigkeit anderer Rechtsbehelfe |
| Schwerwiegende Verletzung erforderlich | Jede kausale Gesundheitsverletzung genügt |
| Verletzung nicht anders ausgleichbar | Zusätzlich: Verdienstausfall, Heilkosten etc. |
Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs
Bei reiner Persönlichkeitsrechtsverletzung (subsidiär)
- Schwerwiegende Verletzung: Die Persönlichkeitsrechtsverletzung muss so gravierend sein, dass sie nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann
- Kein anderer Ausgleich möglich: Unterlassung, Widerruf und Gegendarstellung reichen nicht aus
- Verschulden: Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Schädigers
- Kausalität: Die Verletzungshandlung muss ursächlich für die Beeinträchtigung sein
Bei Gesundheitsverletzung (nicht subsidiär)
- Gesundheitsschaden: Körperliche oder psychische Erkrankung (z.B. Depression, Burnout, psychosomatische Beschwerden)
- Kausalität: Der Gesundheitsschaden muss durch das Mobbing verursacht worden sein
- Verschulden: Vorsatz oder Fahrlässigkeit
- Schaden: Nachweisbarer materieller und/oder immaterieller Schaden
Verschulden: Fahrlässigkeit genügt
Ein wichtiger Aspekt bei Mobbing-Ansprüchen betrifft das erforderliche Verschulden und die Frage, ob das Haftungsprivileg der gesetzlichen Unfallversicherung greift:
Wichtig für Geschädigte: Für einen Schadensersatzanspruch wegen Mobbings genügt bereits Fahrlässigkeit – Vorsatz ist nicht erforderlich. Dies erleichtert die Durchsetzung von Ansprüchen erheblich.
Kein Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung
Das Haftungsprivileg des § 104 SGB VII schützt Arbeitgeber und Arbeitskollegen vor Schadensersatzansprüchen bei Arbeitsunfällen. Bei Mobbing greift dieses Privileg jedoch nicht:
Mobbing ist keine Arbeitsleistung! Das systematische Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Kollegen gehört nicht zu den betrieblichen Tätigkeiten, die dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterfallen. Mobbing-Handlungen sind keine versicherte Tätigkeit im Sinne des SGB VII.
BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06: Das Bundesarbeitsgericht hat ausdrücklich entschieden, dass die Haftungsbeschränkung nach § 105 Abs. 1 SGB VII bei Mobbing nicht einschlägig ist. Bei Mobbingschäden handelt es sich weder um Schäden aus einem Arbeitsunfall noch um eine Berufskrankheit. Auch die Grundsätze der Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung infolge betrieblicher Veranlassung greifen nicht, da Mobbing gerade keine betrieblich veranlasste Tätigkeit darstellt.
Die Konsequenz: Volle Haftung
Da Mobbing nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterfällt, haftet der Schädiger (Arbeitgeber oder Kollege) nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen:
- Keine Haftungsbeschränkung: Das Haftungsprivileg des § 104 SGB VII greift nicht
- Fahrlässigkeit genügt: Es muss kein Vorsatz nachgewiesen werden
- Voller Schadensersatz: Materieller und immaterieller Schaden können geltend gemacht werden
- Schmerzensgeld: Bei Gesundheitsschäden ohne Anrechnung von Leistungen der Unfallversicherung
Praxisbedeutung: Diese Rechtslage ist für Mobbing-Opfer günstig: Sie können ihre Ansprüche direkt gegen den Schädiger geltend machen, ohne auf die (oft geringeren) Leistungen der Berufsgenossenschaft verwiesen zu werden. Auch Kollegen, die mobben, haften persönlich – nicht nur bei Vorsatz, sondern bereits bei Fahrlässigkeit.
Darlegungs- und Beweislast
Wichtig: Die Beweislast für alle Voraussetzungen liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer. Eine Beweiserleichterung ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht vorgesehen. Dies macht Mobbing-Prozesse oft schwierig.
Der Arbeitnehmer muss beweisen:
- Die konkreten Mobbing-Handlungen (wann, wo, was, durch wen)
- Die Systematik und Zielgerichtetheit der Handlungen
- Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder der Gesundheit
- Den Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Schaden
- Das Verschulden des Schädigers (oft der Arbeitgeber über § 278 BGB)
- Die Höhe des Schadens
Praxistipp – Mobbing-Tagebuch: Betroffene sollten von Anfang an ein detailliertes Tagebuch führen: Datum, Uhrzeit, Ort, anwesende Personen, genaue Schilderung des Vorfalls, Zeugen. Nur so lässt sich später der Beweis führen.
Haftung des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann auf zwei Wegen für Mobbing haften:
1. Eigene Fürsorgepflichtverletzung
Der Arbeitgeber verletzt seine Fürsorgepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn er von Mobbing weiß oder wissen müsste und nicht einschreitet. Er haftet dann aus § 280 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz.
2. Zurechnung des Verhaltens Dritter
Für das Verhalten von Vorgesetzten oder Erfüllungsgehilfen haftet der Arbeitgeber nach § 278 BGB (Erfüllungsgehilfe) oder § 831 BGB (Verrichtungsgehilfe). Bei leitenden Angestellten wird deren Verhalten dem Arbeitgeber regelmäßig zugerechnet.
Was ist KEIN Mobbing?
Nicht jede unangenehme Situation am Arbeitsplatz ist Mobbing. Die Rechtsprechung grenzt ab:
- Übliche Konflikte: Normale arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen, auch wenn sie belastend sind
- Berechtigte Kritik: Sachliche Kritik an der Arbeitsleistung, auch wenn sie hart formuliert ist
- Direktionsrecht: Zulässige Weisungen des Arbeitgebers, auch wenn sie unliebsam sind
- Einzelne Vorfälle: Isolierte Konflikte ohne systematischen Charakter
Vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 01.04.2004 – 3 Sa 542/03: Kein Mobbing bei typischen arbeitsrechtlichen Konfliktsituationen.
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Rechtsprechung und Rechtsgrundlagen
- BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06 (Haftungsprivileg § 105 SGB VII greift bei Mobbing nicht)
- Sächsisches LAG, Urt. v. 17.02.2005 – 2 Sa 751/03 (Subsidiarität bei Persönlichkeitsrechtsverletzung)
- LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2008 – 11 Sa 407/08 (Voraussetzungen der Geldentschädigung)
- Thüringer LAG, Urt. v. 15.09.2009 – 7 Sa 381/08 (Darlegungs- und Beweislast)
- LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 01.04.2004 – 3 Sa 542/03 (Abgrenzung zu Konfliktsituationen)
- LAG Hamm, Urt. v. 14.02.2019 – 18 Sa 976/18 (Schadensersatz bei Nichtbeschäftigung)
- § 823 Abs. 1 BGB; § 280 Abs. 1 BGB; § 253 Abs. 2 BGB; Art. 1, 2 GG
- §§ 104, 105 SGB VII (Haftungsprivileg – greift bei Mobbing nicht)
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