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Arbeitsrecht: ArbG Kiel: Arbeitgeber müssen Pflegekräfte vor Überlastung schützen

Das ArbG Kiel hat entschieden, dass die Vorgabe einer Mindestbesetzung mit Pflegepersonal eine geeignete Maßnahme ist, mit der einer Gesundheitsgefährdung der eigenen Beschäftigten durch Überlastung begegnet werden kann.

Der Spruch einer Einigungsstelle, der eine Schichtbesetzung mit einer bestimmten Zahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungssituationen vorschreibe, sei nicht per se rechtswidrig, so das Arbeitsgericht.

In der Vergangenheit kam es zwischen der Arbeitgeberin, die eine Klinik betreibt, und dem Betriebsrat wiederholt zu Auseinandersetzungen über die Frage der Mindestbesetzung für den Pflegedienst auf bestimmten Stationen. Schließlich wurde im Frühjahr 2013 eine Einigungsstelle zur Beilegung ihrer Meinungsverschiedenheiten gebildet. Die Einigungsstelle holte insgesamt drei Gutachten zur konkreten Belastungs- und Gefährdungssituation des auf diesen Stationen tätigen Pflegepersonals ein. Es wurde festgestellt, dass die physische und psychische Belastung eine kritische Grenze erreiche. Diese werde bei Krisensituationen – etwa bei erhöht pflegebedürftigen Patienten, Komplikationen und OP-Spitzen mit Wahrscheinlichkeit überschritten. Das letzte Gutachten enthält auch arbeitswissenschaftlich fundierte Aussagen und Berechnungsmethoden darüber, mit welchen Arbeitsbedingungen dem begegnet werden kann. Da nach weiteren Verhandlungen keine einvernehmliche Regelung möglich war, endete die Einigungsstelle am 08.12.2016 durch einen Spruch. Dieser sieht eine Schichtbesetzung mit einer bestimmten Zahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungssituationen vor. Die Arbeitgeberin machte vor dem Arbeitsgericht die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs geltend.

Die Klage hatte vor dem ArbG Kiel keinen Erfolg.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz. Das beziehe sich auch auf Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden bei konkreten Gefährdungen, die im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt worden seien. Das folge aus §§ 3 und 5 Arbeitsschutzgesetz. Die Vorgabe einer Mindestbesetzung sei durchaus eine Maßnahme, mit der der Gefährdung der Mitarbeiter begegnet werden könne. Darüber dürfe eine Einigungsstelle durch Spruch entscheiden, sofern sich die Betriebsparteien nicht einigen. Auch wenn der Arbeitgeber durch einen solchen Spruch verpflichtet werde, in Abhängigkeit der belegten Betten ein Mindestmaß an Personal vorzuhalten, liege kein rechtlicher Fehler vor. Dadurch sei er zwar in der Personalbesetzung nicht mehr völlig frei. Das sei ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 12 GG. Diese Freiheit kollidiere aber mit den Grundrechten der Arbeitnehmer auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und aus Art. 31. der EU-Grundrechte-Charta. Danach habe jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eigene körperliche Unversehrtheit (Art. 31 EU-Grundrechte-Charta, Art. 2 Abs. 2 GG). Der damit verbundene Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit (Art. 12 GG) müsse dann gegebenenfalls zurücktreten. Ermessensfehler seien jedenfalls dann nicht ersichtlich, wenn keine starre Mindestbesetzung vorgeschrieben werde, sondern eine Mindestbesetzung im Verhältnis zu den belegten Betten.

Eine Einigungsstelle werde bei Bedarf zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebildet. Sie bestehe aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern jeder Seite und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf den man sich geeinigt habe. Könne man in ihr keine Einigung erzielen, ergehe ein „Spruch“ mit Stimmenmehrheit. Dieser Spruch wirke dann auch gegen die unterlegene Seite und müsse umgesetzt werden. Er könne aber bei Gericht mit engen Voraussetzungen angefochten werden.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Gegen ihn kann Beschwerde eingelegt werden. Die Frist läuft noch.

Gericht/Institution: ArbG Kiel
Erscheinungsdatum: 23.08.2017
Entscheidungsdatum: 26.07.2017
Aktenzeichen: 7 BV 67c/16
Normen: § 87 BetrVG, § 3 ArbSchG, § 5 ArbSchG, Art 12 GG, Art 2 GG

Quelle: Pressemitteilung des LArbG Kiel Nr. 4/2017 v. 23.08.2017

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