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Arbeitsrecht: Rechtsstellung Schwerbehinderter und Behinderter im Arbeitsverhältnis

So kann es nicht mehr weitergehen. Der Unterzeichner beschäftigt sich hauptsächlich mit Arbeitsrecht, Personenschäden und Versicherungsrecht, d.h. auch mit Berufsunfähigkeit. Überwiegend scheiden die Arbeitnehmer wegen psychischer Belastungen, hervorgerufen durch die berufliche Tätigkeit, aus dem Erwerbsleben aus. Die Leidtragenden sind unter anderem die Sozialversicherung und die privaten Versicherungen. Deshalb hat der Vorstandsvorsitzende der AXA in einem Podcast an die Arbeitgeber appelliert, ein menschenwürdiges und vertrauensvolles Betriebsklima zu schaffen. Und es ist schon ein Ausrufezeichen, wenn ein Vorstandsvorsitzender einer der größten europäischen Versicherungskonzerne auf die Missstände in den Arbeitsverhältnissen hinweist. Das trifft aber insbesondere Behinderte, zum Beispiel chronisch Kranke, die aus dem Betrieb gedrängt werden durch sog. kalten Kündigungen. Es soll einmal aufgezeigt werden, wie Behinderte und Schwerbehinderte weltweit, europaweit und in der Bundesrepublik Deutschland geschützt sind:

UN-Behindertenrechtskonvention 2009

Art. 1

Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

Art. 27 Arbeit und Beschäftigung

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für Menschen, die während der Beschäftigung eine Behinderung erwerben, durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um unter anderem …

i) sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden;

EU Beschluss 26.11.2009 – 2010/48: UN-BRK genehmigt. Art. 216 Abs. 2 AEUV sind Organe der EU sowie Mitgliedstaaten an Übereinkünfte gebunden, die die Union geschlossen hat.

Anhang II des Beschlusses: Richtlinie 2000/78/EG zählt in Bereichen selbständige Lebensführung, soziale Eingliederung, Arbeit und Beschäftigung zu den Rechtsakten der Union gehört, die durch die UN-BRK erfassten Angelegenheiten betreffen.

EuGH: Bestimmungen der UN-BRK seit Inkrafttreten integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung

also RiLi 2000/78/EG Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen

Auswirkung namentlich auf

– Art. 5 RiLi 2000/78/EG

– Behinderungsbegriff – Art. 1 Abs. 2 UN-BRK

– angemessenen Vorkehrungen – Art. 2 UN-BRK

Artikel 5 Richtlinie 2000/78/EG

Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung

  1. Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen.
  2. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung denZugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten.
  3. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen derBehindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend

Bundesverfassungsgericht zur UN-BRK

2a. Eine nach Art 3 Abs 3 S 2 GG verbotene Benachteiligung liegt nicht nur bei Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen der

Behinderung verschlechtern. Eine Benachteiligung kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein, wenn

dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird (vgl BVerfG, 29.01.2019, 2 BvC 62/14 <Rn 55>).(Rn.35) kompensiert wird.

4a. Völkervertragliche Bindungen haben innerstaatlich zwar nicht den Rang von Verfassungsrecht (vgl für die EMRK BVerfG, 14.10.2004, 2 BvR 1481/04 <Rn 30>). Die UN-Behindertenrechtskonvention (juris: UNBehRÜbk) steht aufgrund des Zustimmungsgesetzes des Bundesgesetzgebers (Art 59 Abs 2 GG) innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes (vgl BVerfG, 24.07.2018, 2 BvR 309/15 <Rn 90>). Gleichwohl besitzt sie verfassungsrechtliche Bedeutung als Auslegungshilfe für die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes (vgl BVerfG, 26.07.2016, 1 BvL 8/15 <Rn 88>).(Rn.40)

(BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18 –, juris)

Behinderung § 2 Abs. 2 und 3 SGB IX

 (2) Menschen sind im Sinne des Teils 3schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

 (3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

§ 1 AGG: Behinderung

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Schwerbehinderten-Arbeitsrecht

GdB 50 oder mehr, § 2 Abs. 2 SGB IX

GdB 30, 40 + Gleichstellung, § 2 Abs. 3, § 151 SGB IX

1. Beschäftigungspflicht § 154 Abs. 1 SGB IX

2. Pflichten bei Einstellung § 164 Abs. 1 SGB IX

3. Benachteiligungsverbot § 164 Abs. 2 SGB IX (mit Verweis auf AGG)

4. Behinderungsgerechte Beschäftigung § 164 Abs. 4, 5 SGB IX

5. Arbeitszeit / Urlaub § 208 SGB IX

6. Fragerecht (erst nach 6 Monaten)

7. Bes. Kündigungsschutz § 168 ff SGB IX Arbeitgeberpflichten

§ 164 SGB IX Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen

 (1) Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Sie nehmen frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf. Die Bundesagentur für Arbeit oder ein Integrationsfachdienst schlägt den Arbeitgebern geeignete schwerbehinderte Menschen vor. Über die Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Bei Bewerbungen schwerbehinderter Richterinnen und Richter wird der Präsidialrat unterrichtet und gehört, soweit dieser an der Ernennung zu beteiligen ist. Bei der Prüfung nach Satz 1 beteiligen die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Absatz 2 und hören die in § 176 genannten Vertretungen an. Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 176 genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, ist diese unter Darlegung der Gründe mit ihnen zu erörtern. Dabei wird der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört. Alle Beteiligten sind vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ist die Schwerbehindertenvertretung nicht zu beteiligen, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ablehnt.

Beschäftigungspflicht und

Diskriminierungsverbot § 164 SGB IX

 (2) Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

 (3) Die Arbeitgeber stellen durch geeignete Maßnahmen sicher, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann. Absatz 4 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Leidensgerechter Arbeitsplatz, §164 SGB IX

 (4) Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf

 1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln

können,

 2.bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,

 3. Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,

 4.behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,

 5.Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen

unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung. Bei der Durchführung der Maßnahmen nach Satz 1 Nummer 1, 4 und 5 unterstützen die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen. Ein Anspruch nach Satz 1 besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.

Schwerbehinderte Menschen können demgegenüber gem. § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX vom  Arbeitgeber eine Beschäftigung verlangen, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. § 164 Abs. 4 SGB IX gewährt einen klagbaren, individuellen Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung, der unmittelbar kraft Gesetzes entsteht ( BAG 10.5.2005- 9 AZR 230/04- NZA 2006, 155 ff). Einer vorherigen Änderung des Arbeitsvertrages bedarf es nicht.

§ 164 Abs. 4 BGB ist darüber hinaus Schutzgesetz i. S. d § 823 Abs. 2 BGB ( BAG 16.5.2019 – 8 AZR 530/17, NZA 2019, 1348 ff).

Allein aus der Aufzählung der gesetzlichen Vorschriften ergibt sich, dass Arbeitgeber in eklatanter Weise gegen Schutzvorschriften von Behinderten verstoßen, wenn sie Behinderte aus dem Betrieb drängen, z.B. durch eine sog. kalte Kündigung. Sie hat sich damit schadensersatzpflichtig gemacht, nicht nur im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sondern auch im Sinne von Abs. 1 BGB, durch Verletzung des Körpers und der Gesundheit des Klägers.