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Beamtenrecht: Bayerischer Verfassungsgerichtshof: Anrechnung von Versorgungsleistungen auf Versorgungsbezüge von Beamten

Der VerfGH München hat entschieden, dass die im Bayerischen Beamtenversorgungsgesetz vorgesehene Anrechnung von Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung auf die Versorgungsbezüge der Beamten die durch das Alimentationsprinzip vorgegebenen Grenzen überschreitet.

Art. 85 BayBeamtVG regelt das Zusammentreffen von Versorgungsbezügen der Beamten mit Renten. Danach werden Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1), aus einer zusätzlichen Alters- oder Hinterbliebenenversorgung für Angehörige des öffentlichen Dienstes (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) und aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Abs. 1 Satz 2 Nr. 4) in bestimmtem Umfang auf die Versorgungsbezüge angerechnet. Gegenstand des Popularklageverfahrens ist die in Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG vorgesehene Anrechnung von Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung auf die Versorgungsbezüge der Beamten. Mit der Popularklage rügt der Antragsteller, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG verstoße gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 Bayerische Verfassung – BV) und gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV). Zwar sei es mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, wenn der Dienstherr Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die von ihm zu leistende Versorgung anrechne; dies entspreche dem Grundsatz, dass eine Doppelalimentation durch die öffentliche Hand nicht stattfinde. Bei den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und den befreienden Lebensversicherungen handle es sich jedoch um Leistungen einer privaten, nicht einer öffentlichen Kasse. Der Gesetzgeber habe auch auf eine Differenzierung dahingehend verzichtet, ob die dem Rentenanspruch zugrunde liegenden Beitragszahlungen mindestens zur Hälfte durch einen Arbeitgeber aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im öffentlichen Dienst geleistet worden seien. Dies führe dazu, dass sich der Dienstherr verfassungswidrig von seiner Alimentationspflicht entlaste. Zumindest hätte es einer Übergangsregelung bedurft. 2. Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung halten die Popularklage für unbegründet. Das versorgungsrechtliche Leitbild des Nur-Beamten orientiere sich an einem Beamten, der eine ruhegehaltfähige Dienstzeit von mindestens 40 Jahren vorweisen könne. Die damit verbundene Höchstversorgung solle auch der Beamte mit Mischbiografie nicht überschreiten, der durch ein weiteres Beschäftigungsverhältnis einen zusätzlichen, ebenfalls der Alterssicherung dienenden Anspruch erworben habe. Mit Art. 85 BayBeamtVG habe der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel vollzogen. Er knüpfe die Anrechnung von Renten nicht mehr an den Tatbestand der Doppelalimentierung aus öffentlichen Kassen, d.h. an die Herkunft der finanziellen Mittel, sondern an das Vorliegen einer Berufstätigkeit. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass Zeiten, die über eine Pflichtversicherung in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung abgedeckt seien, im Normalfall als Kannvordienstzeiten anerkannt würden und so versorgungserhöhend wirkten.

Der VerfGH München hat entschieden, dass die Popularklage begründet ist und Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) vom 05.08.2010 (GVBl S. 410, 528, ber. S. 764, BayRS 2033-1-1-F), das zuletzt durch § 4 des Gesetzes vom 12.07.2017 (GVBl S. 326) geändert worden ist, verfassungswidrig ist.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes überschreitet die in Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG vorgesehene Anrechnung von Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung auf die Versorgungsbezüge der Beamten die durch das Alimentationsprinzip (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 BV) vorgegebenen Grenzen. Habe die öffentliche Hand zum Aufbau solcher Leistungen keine Mittel beigetragen, fehle es an sachlichen Gründen, die eine Anrechnung rechtfertigen würden.

Bei einer befreienden Lebensversicherung handele es sich um eine Sonderform der vom Arbeitgeber mitfinanzierten Alterssicherung, die Angestellte bis zum 31.12.1967 zum Zweck der Befreiung von der Angestelltenpflichtversicherung abschließen konnten. Die Leistungen würden nicht aus öffentlichen Kassen, sondern durch ein Versicherungsunternehmen aufgrund eines Lebensversicherungsvertrags gewährt. Damit stammen sie – vergleichbar den Versorgungsleistungen, die ohne jede Beteiligung des Dienstherrn auf einer privaten (Betriebs-)Rentenversicherung beruhen (vgl. Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 11.02.2015 – Vf. 1-VII-13) – aus einer privaten Kasse. Leiste die öffentliche Hand hierzu keine Beiträge oder Zuschüsse, sei keine von der öffentlichen Hand (mit-)finanzierte Kasse betroffen. Eine auf Leistungen aus einer befreienden Lebensversicherung neben beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen beruhende „Überversorgung“ des Beamten resultiere allein aus der Eigenleistung des Beamten bzw. seines privaten Arbeitgebers.

Ein Missverhältnis zwischen Rechten und Pflichten des Beamten ergebe sich insoweit auch nicht aufgrund einer teilweisen oder vollständigen Anrechnung von sog. Kannvordienstzeiten auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit eines Beamten. Zwar wirke die Berücksichtigung dieser Zeiten versorgungserhöhend, ohne dass insoweit eine Gegenleistung des Beamten erbracht werde. Eine Anerkennung dieser Zeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit sei aber verfassungsrechtlich nicht zwingend. Sie sei dementsprechend vom Gesetzgeber in Art. 19 und 22 BayBeamtVG als Ermessensregelung ausgestaltet worden, die nach Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG zudem unter den Regelvorbehalt („soll“) der Nichtüberschreitung der Höchstgrenze nach Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG durch die Gesamtversorgung des Beamten gestellt wurde.

Vergleichbar sei die Lage bei einer berufsständischen Versorgungseinrichtung.

Hierbei handele es sich um eine selbständig neben den sonstigen gesetzlichen Altersversorgungssystemen stehende Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung für Beschäftigte und selbständig Tätige freier Berufsgruppen (Ärzte, Apotheker, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Architekten u. ä.). Eine berufsständische Versorgungseinrichtung, wie etwa die Bayerische Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, sei zwar auch durch zahlreiche öffentlich-rechtliche Elemente gekennzeichnet, die sie von der typischen Erscheinungsform einer privaten Kasse unterscheiden und sie der gesetzlichen Rentenversicherung annähern. Sie werde insbesondere nicht – wie die private Lebensversicherung – vom reinen Versicherungsprinzip beherrscht, sondern habe – wie die gesetzliche Rentenversicherung – auch soziale Komponenten. Gleichwohl bestünden wesentliche strukturelle Unterschiede, die eine Einstufung der berufsständischen Versorgungseinrichtungen als öffentliche Kassen verbieten. Habe die öffentliche Hand zum Aufbau der Versorgungsleistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung keine Mittel beigetragen und würden auch finanzielle Risiken von ihr nicht aufgefangen, sei weder eine ungerechtfertigte Überversorgung des Beamten noch die Gefahr von Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln gegeben.

Gericht/Institution: Bayerischer Verfassungsgerichtshof
Erscheinungsdatum: 11.12.2017
Entscheidungsdatum: 06.12.2017
Aktenzeichen: Vf. 15-VII-13

Quelle: Pressemitteilung des VerfGH München v. 11.12.2017

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