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Verkehrsrecht: 300.000 EURO für Mitfahrer nach komplette Querschnittslähmung

Eine schwere komplette Querschnittslähmung (hohe Halsmarklähmung) kann ein Schmerzensgeld von 300.000 € rechtfertigen.

Fall:

Der 31-jährige Kläger erlitt einen Verkehrsunfall auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers. Er beabsichtigte, nach Beendigung seines Arbeitstages gegen 17:15 Uhr mit seinem Arbeitskollegen, dem Zeugen W., mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug des Typs BMW vom Betriebsgelände ihres gemeinsamen Arbeitsgebers nach Hause zu fahren. Der Kläger und der Zeuge W. bildeten eine Fahrgemeinschaft; der Zeuge W. war nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis und hatte auch nie eine erwor-ben, was dem Kläger bekannt war. Der Zeuge W. nahm zunächst auf dem Beifahrersitz Platz, während der Kläger noch Müll aus dem Fahrzeug entsorgen wollte. Dazu beugte sich der Kläger von der Fahrerseite in das Fahrzeug hinein, suchte Abfälle zusammen und trug sie zu einem einige Meter entfernt aufgestellten Müllcontainer. Während der Kläger damit beschäftigt war, stieg der Zeuge aus dem Fahrzeug aus, ging um das Fahrzeug herum und setzte sich auf den Fahrersitz. Er startete das Fahrzeug, betätigte dabei die Fußbremse und legte den Rückwärtsgang ein. Nachdem die Fußbremse nicht mehr betätigt und Gas gegeben wurde, rollte das Fahrzeug mit geöffneter Fahrertür und dem inzwischen zurückgekehrten und zwischen Fahrertür und Fahrzeug eingeklemmten und mitgeschleiften Kläger in einem Rechtsbogen rückwärts in Richtung eines Stahlcontainers. Der Kläger wurde zwischen der Fahrertür und dem Stahlcontainer eingeklemmt und erlitt schwere Verletzungen an der Halswirbelsäule.

Rechtliche Beurteilung:

Das OLG hielt ein Schmerzensgeld von 400.000 € für angemessen, das allerdings um ein Mitverschulden von 25 % zu kürzen sei.

Den Kläger treffe insoweit eine Mitschuld an dem Unfall, als er in der Fahrertür stehen geblieben sei, obgleich das Fahrzeug angelassen wurde, was er auch bemerkt habe. Spätestens mit dem Anlassen des Motors musste dem Kläger die Gefahr, dass

der Zeuge W. losfahren könnte, nämlich bewusst werden. Der Kläger wusste, dass

der Zeuge über keine Fahrerlaubnis und keinerlei Fahrpraxis verfügte. Ihm musste

dabei auch klar sein, dass der Zeuge aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nur

rückwärtsfahren konnte und deshalb die Position des Klägers zwischen Tür und

Fahrzeug äußerst gefährlich war. Der Kläger hätte versuchen müssen, den Zeugen zu

bewegen, den Motor wieder auszustellen oder auf andere Weise die drohende Fahrt

zu verhindern.

Der Kläger hat schwerste Verletzungen bei dem Unfall davongetragen, die zu

dauerhaften Einschränkungen in allen Lebensbereichen führen. Der Kläger erlitt

aufgrund einer Kettenverletzung im Halswirbelsäulenbereich in Form von Spalt- und

Kompressionsbrüchen an den HWK 5, 6 und 7 eine komplette hohe Halsmarkläh-

mung beginnend unterhalb des HWL C 4 mit hochgradiger Teillähmung beider Arme,

einer Rumpfinstabilität und hochgradiger Lähmung beider Beine. Außerdem war die

9.Rippe gebrochen und die Lunge gequetscht. Aufgrund einer Einblutung im Glas-

körper ist er auf dem rechten Auge nahezu erblindet. Der Kläger wurde von einem

Rettungshubschrauber in die Unfallklinik transportiert, wo er operiert und zunächst

in ein künstliches Koma versetzt wurde. Er musste deshalb über lange Zeit künstlich

beatmet werden, weshalb es zu einem Liegegeschwür über dem Steißbein kam, das

mehrfach operativ behandelt werden musste. Außerdem erlitt er wiederholte Fieber-

schübe, derentwegen er antibiotisch behandelt wurde.

Der Kläger ist aufgrund einer Querschnittslähmung auf den Rollstuhl angewiesen

und zudem noch in weiteren grundlegenden Lebensfunktionen – insbesondere

durch die Lungenquetschung und die Augenverletzung – tiefgreifend geschädigt.

Die Querschnittsverletzung ist verbunden mit einer Lähmung der Harnblase und

des Darmes mit Inkontinenz, die wiederum zu rezidivierenden Infekten führt. Da-

rüber hinaus besteht eine Insuffizienz der Atmung, deshalb ist eine umfangreiche

Beatmungstherapie mit einem ambulanten Beatmungsgerät erforderlich; es besteht

weiterhin Beatmungspflicht mittels einer Trachealkanüle. Er wird immer auf fremde

Hilfe angewiesen sein und bedarf einer umfassenden Betreuung.