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Verkehrsrecht: OLG München zerreißt medizinisches Sachverständigengutachten über PTBS

Die Bedeutung psychischer Erkrankungen nach Verkehrsunfällen hat in den vergangenen Jahren in der gerichtlichen Praxis zugenommen. Nach der Rechtsprechung ist zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem anerkannten Diagnoseschlüssel erforderlich (BGH, NJW 2015, 2246). Als Diagnoseschlüssel stehen im Bereich der psychischen Erkrankungen die ICD-10 (Diagnosemanual der WHO) oder der DSM V (Diagnosemanual der amerikanischen psychiatrischen Assoziation) zur Verfügung. Im Hinblick auf die Diagnose der PTBS ergeben sich in den beiden genannten Verzeichnissen unterschiedliche Kriterien bezüglich des erforderlichen belastenden Ereignisses.

Eine PTBS, eine posttraumatische Belastungsstörung wird von psychiatrischen Gutachtern schnell attestiert. So beklagen viele Autofahrer nach einem Verkehrsunfall sogenannte Flashbacks werden bei einem auslösenden Moment an das Unfallgeschehen erinnert. Nun wird sich fast jeder Autofahrer an seinen Verkehrsunfall irgendwann erinnern. Das allein kann nicht ausreichen unter dem Diagnoseschlüssel IDC-10 F43.1 das dramatische Belastungsstörung heißt es wörtlich:

Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.

Es muss also Umstände hinzugetreten, damit eine krankhafte Störung in Form einer PTBS angenommen werden kann. Was das ist, hat das Oberlandesgericht München aus juristischer Sicht zu einer medizinischen Frage festgestellt zum wiederholten Male hat es ein psychiatrisches Gutachten, dass eine PTBS bescheinigt, nicht anerkannt. In der Entscheidung vom 9. September 2021 – 10 U 546/21 – hat es folgenden Orientierungssatz formuliert:

1. Eine gerichtliche Entscheidung beruht auf einer fehlerhaften Beweiserhebung, wenn die erholten Gutachten unbrauchbar sind.

Weiter führt das OLG aus:

Der psychiatrische Sachverständige attestierte eine zum Zeitpunkt der Untersuchung leichtgradig depressive Episode als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD 10, F 43.1.Hinsichtlich der Beurteilung der PTBS stützt sich der Senat ausschließlich auf die ICD 10: F43.1 (vgl. Senat, Urteil vom 26.07.2017, 10 U 3773/16): „Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde

Das OLG hat also nur die Info zum Diagnoseschlüssel abgeschrieben. Aus der irgendwo gibt sich, dass es keineswegs so einfach ist, eine posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden. Ein leichtes entlang Schrammen an der Leitplanke, ein leichter Auffahrunfall, eine Vorfahrtsverletzung mit Blechschaden werden eine posttraumatische Belastungsstörung nicht auslösen.

Das OLG führt weiter aus:

Vor allem ist zu beachten, dass das sog. A-Kriterium ein objektives Element enthält (die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde), welches die Annahme einer PTBS bei vielen Verkehrsunfällen nach richtiger Auffassung verhindert. Vorliegend kommt die Annahme einer PTBS nach dem unfallanalytisch-biomechanischen Gutachten, welches im Parallelverfahren erholt wurde, nicht ansatzweise in Betracht.