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Versicherungsrecht: OLG Stuttgart: „offene Gesundheitsfragen“ in Antragsformular der Berufsunfähigkeitsversicherung

Das OLG Stuttgart hat über einen Fall zu entscheiden, in dem der Kläger seine Multiple Sklerose Erkrankung nicht angegeben hat. Er war gefragt worden, ob eine Erkrankung oder Beschwerden im neurologischen Bereich vorlegen, zum Beispiel Multiple Sklerose. Unter dem 19.11.2015 beantragte der Kläger den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung wobei die Antragstellung über die MLP Finanzdienstleistungen AG erfolgte. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war dem Kläger unter anderem bekannt, dass er nicht mehr rennen konnte und dass sein rechtes Bein nach ca. 1-2 km Wegstrecke ermüdete und das rechte Fußgelenk zu schmerzen begann. Diese Beschwerden waren auf die MS-Erkrankung zurückzuführen. Bei dem Kläger war im Jahr 1996 eine Erkrankung an Multipler Sklerose diagnostiziert worden. Der Berufsunfähigkeitsversicherung hat den Rücktritt nach § 19 VVG erklärt. Der Rücktritt ist zulässig unter anderem, wenn in den letzten zurückliegenden 5 Jahren vor Antragstellung eine Erkrankung bestand und der Antragsteller diese Erkrankung grob fahrlässig nicht angegeben hat.


Die Frage bei hier, ob die außerhalb des Fünfjahreszeitraum diagnostizierte MS Erkrankung angegeben werden musste. Der Kläger hat behauptet, er habe sich nicht mehr erinnert. Im Übrigen handele es sich um eine unzulässige sogenannte „offene Frage“, die unzulässig sei.

Dem ist das OLG Stuttgart nicht gefolgt: „Eine gewisse Abstraktionshöhe bei der Fragestellung ist im Massengeschäft unvermeidlich. Die Unzulässigkeit offener Fragen würde zu einem Detailierungsgrad der Fragebögen führen, der nicht nur unpraktikabel, sondern auch dem Verständnis des Versicherungsnehmers vom Fragenkatalog abträglich wäre. Infolgedessen sind offene Fragen, jedenfalls dann, wenn sie wie hier durch Angabe verschiedener Beispiele konkretisiert werden … als unbedenklich zu beurteilen.

Ob es den Begriff der „offenen Frage“ zur Entscheidung des Problems bedurfte, erscheint fraglich. Der BGH stellt auf die Verständlichkeit der Frage. Er sitzt dabei die Fragen des Versicherers, dass bei der Antragstellung, sei es im Versicherungsfall, mit den allgemeinen Versicherungsbedingungen gleich unter 2. entschieden:

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hat sich die Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen am Maßstab des verständigen Dritten entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszurichten. Das ergibt sich aus §§ 133, 157 BGB.

Gelegentlich wird bemerkt, dass die Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand und Vorerkrankungen bei Antragstellung von dem Gerichten in jedem einzelnen Fall zu beurteilen sind. Hält es den Versicherungsnehmer für glaubhaft, dann ist der Prozess gewonnen, hält es ihn für einen Schwindler, denn wird es die Klage abweisen. Dem Antragsteller muss grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, die Frage kann nicht abstrakt sondern nur im Einzelfall entschieden werden.

OLG Stuttgart, Urt. vom 28.07.2022 – 7 U 370/21