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Arbeitsrecht: EUGH: Dynamische Verweisungsklauseln in Arbeitsverträgen gelten auch bei Betriebsübergang

Der EuGH hat entschieden, dass Klauseln in Einzelarbeitsverträgen, die „dynamisch“ auf Tarifverträge verweisen, im Fall des Betriebsübergangs gegenüber dem Erwerber wirksam sind.

Die Arbeitnehmer waren im Krankenhaus Dreieich-Langen beschäftigt, das damals in Trägerschaft einer kommunalen Gebietskörperschaft stand. Herr F. ging dort seit 1978 einer Beschäftigung als Hausarbeiter/Gärtner nach, Frau G. übte dort seit 1986 die Tätigkeit einer Stationshelferin aus. Nachdem die kommunale Gebietskörperschaft das Krankenhaus im Jahr 1995 an eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) veräußert hatte, ging der Betriebsteil, in dem die Arbeitnehmer beschäftigt waren, im Jahr 1997 auf die KLS Facility Management GmbH (im Folgenden: KLS FM) über. Die zwischen KLS FM, die keinem Arbeitgeberverband angehörte, der an Tarifverhandlungen und der Annahme eines Tarifvertrags beteiligt war, und den Arbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträge enthielten eine „dynamische“ Verweisungsklausel, wonach sich ihr Arbeitsverhältnis – wie vor dem Übergang – nach dem Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (im Folgenden BMT-G II), aber zukünftig auch nach den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen richten sollte. Später wurde KLS FM Teil eines Krankenhaus-Konzerns. Zum 01.07.2008 ging der Betriebsteil, in dem die Arbeitnehmer beschäftigt waren, auf eine andere Konzerngesellschaft, nämlich Asklepios, über. Wie KLS FM war und ist auch Asklepios bis heute nicht durch die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband an den BMT-G II und den diesen seit dem 01.10.2005 ersetzenden Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und den Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts gebunden. Die Arbeitnehmer beantragten die gerichtliche Feststellung, dass gemäß der in ihren jeweiligen Arbeitsverträgen enthaltenen „dynamischen“ Verweisungsklausel auf den BMT-G II die Bestimmungen des TVöD und der diesen ergänzenden Tarifverträge sowie die Bestimmungen des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts in ihrer zum Zeitpunkt ihres Antrags gültigen Fassung auf ihre jeweiligen Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Asklepios vertritt die Auffassung, der nach dem nationalen Recht vorgesehenen Rechtsfolge einer solchen „dynamischen“ Anwendung der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Kollektivregelungen des öffentlichen Dienstes stünden die L 2001/23 und Art. 16 der Charta entgegen. Dies führe nach dem Übergang der betroffenen Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitgeber zu einer lediglich „statischen“ Anwendung dieser Regelung in dem Sinne, dass nur die in dem mit dem Veräußerer arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen aus den in diesem Arbeitsvertrag genannten Kollektivverträgen dem Erwerber entgegengehalten werden könnten.
Die unterinstanzlichen Gerichte hatten den Klagen der Arbeitnehmer stattgegeben. Hiergegen legte Asklepios Revision beim vorlegenden Gericht ein.

Der EuGH hat dem BGH geantwortet, dass Art. 3 der RL 2001/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen i.V.m. Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) dahin auszulegen ist, dass sich im Fall eines Betriebsübergangs die Fortgeltung der sich für den Veräußerer aus einem Arbeitsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten auf die zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer privatautonom vereinbarte Klausel erstreckt, wonach sich ihr Arbeitsverhältnis nicht nur nach dem zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden Kollektivvertrag, sondern auch nach den diesen nach dem Übergang ergänzenden, ändernden und ersetzenden Kollektivverträgen richtet, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.

Nach Auffassung des EuGH ergibt sich aus der Vorlageentscheidung des AG und insbesondere aus dem Wortlaut der Vorlagefragen selbst, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende deutsche Regelung sowohl einvernehmliche als auch einseitige Möglichkeiten für den Erwerber vorsieht, die zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsbedingungen nach dem Übergang anzupassen. Éin Arbeitsvertrag könne durch Vertragsklauseln auf andere rechtliche Instrumente, insbesondere auf Tarifverträge, verweisen. Solche Klauseln könnten entweder wie „statische“ Verweisungsklauseln auf allein die Rechte und Pflichten verweisen, die in dem zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs geltenden Kollektivvertrag festgelegt seien, oder – wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden „dynamischen“ Verweisungsklauseln – auch auf zukünftige vertragliche Entwicklungen verweisen, die eine Änderung dieser Rechte und Pflichten nach sich ziehen. Hierzu hat der EuGH im Fall einer „statischen“ Vertragsklausel und im Kontext der RL 77/187 ausgeführt, dass sich aus dem Wortlaut Letzterer nicht ergibt, dass der Unionsgesetzgeber den Erwerber durch andere Kollektivverträge als die zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden binden und demnach verpflichten wollte, die Arbeitsbedingungen später durch die Anwendung eines neuen, nach dem Übergang geschlossenen Kollektivvertrags zu ändern (EuGH, Urt. v. 09.03.2006 – C-499/04). Diese Richtlinie bezwecke nämlich nur, die am Tag des Übergangs bestehenden Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer zu wahren; bloße Erwartungen und somit hypothetische Vergünstigungen, die sich aus zukünftigen Entwicklungen der Kollektivverträge ergeben könnten, sollten durch sie nicht geschützt werden (EuGH, Urt. v. 09.03.2006 – C-499/04 Rn. 29).

Zwar ergebe sich daraus, dass Art. 3 der RL 2001/23 dahin auszulegen sei, dass er nicht dazu verpflichtet, eine „statische“ Klausel „dynamisch“ zu verstehen, jedoch hat der EuGH auch darauf hingewiesen, dass ein Vertrag durch das Prinzip der Privatautonomie gekennzeichnet ist, wonach die Parteien frei darin sind, gegenseitige Verpflichtungen einzugehen (EuGH, Urt. v. 09.03.2006 – C-499/04 Rn. 23). Aus dem Wortlaut der RL 2001/23 und insbesondere aus ihrem Art. 3 gehe jedoch nicht hervor, dass der Unionsgesetzgeber von diesem Grundsatz abweichen wollte. Folglich sei die RL 2001/23 und insbesondere ihr Art. 3 nicht so zu verstehen, als ob sie darauf abziele, in jedem Fall zu verhindern, dass eine „dynamische“ Vertragsklausel ihre Wirkungen entfalte. Haben der Veräußerer und die Arbeitnehmer eine „dynamische“ Vertragsklausel frei vereinbart und ist diese zum Zeitpunkt des Übergangs in Kraft, sei daher die RL 2001/23 und insbesondere ihr Art. 3 so zu verstehen, dass sie grundsätzlich vorsehen, dass diese sich aus einem Arbeitsvertrag ergebende Pflicht auf den Erwerber übergehe. Im Fall einer „dynamischen“ Vertragsklausel ziele die RL 2001/23 nicht nur auf die Wahrung der Interessen der Arbeitnehmer ab, sondern darauf, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und denen des Erwerbers zu gewährleisten. Hieraus ergebe sich insbesondere, dass der Erwerber in der Lage sein müsse, nach dem Übergang die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen (EuGH, Urt. v. 18.07.2013 – C-426/11 Rn. 25, und EuGH, Urt. v. 11.09.2014 – C-328/13 Rn. 29). Insbesondere impliziere Art. 3 der RL 2001/23 in Zusammenschau mit der unternehmerischen Freiheit, dass es dem Erwerber möglich sein müsse, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln (EuGH, Urt. v. 18.07.2013 – C-426/11 Rn. 33).

Gericht/Institution: EuGH
Erscheinungsdatum: 27.04.2017
Entscheidungsdatum: 27.04.2017
Aktenzeichen: C-680/16, C-681/15

Quelle: Pressemitteilung des EuGH v. 27.04.2017

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