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Keine Lückenrechtsprechung beim Vorbeifahren an einem in zweiter Reihe parkenden Fahrzeug – BGH lehnt Haftung ab

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass die sogenannte „Lückenrechtsprechung“ beim Umfahren eines in zweiter Reihe parkenden Fahrzeugs nicht anwendbar ist. Die Entscheidung stärkt die Rechte von Fahrzeugführern, die sich an das Vorrangsprinzip halten, und präzisiert die Pflichten von Verkehrsteilnehmern, die aus Grundstücken oder Parkplätzen auf die Fahrbahn einfahren.

Der Fall

Ein Fahrzeugführer war auf einer einspurigen Straße in beide Richtungen an einem in zweiter Reihe parkenden Lkw vorbeigefahren. Während des Wiedereinscherens kam es zur Kollision mit einem Fahrzeug, das aus einer Firmenzufahrt hervorkam und auf der Straße wenden wollte. Der Kläger machte geltend, dass der Unfallgegner seine Pflichten beim Wiedereinscheren missachtet habe.

Entscheidung des BGH

Der BGH wies die Klage ab und stellte fest, dass dem Kläger ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO und § 10 Satz 1 StVO zur Last zu legen ist:

  1. Pflichten beim Wenden (§ 9 Abs. 5 StVO):
    Beim Wenden muss der Fahrzeugführer besonders sorgfältig vorgehen und sicherstellen, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden.
  2. Pflichten beim Einfahren auf die Fahrbahn (§ 10 Satz 1 StVO):
    Verkehrsteilnehmer, die aus einer Zufahrt, einem Grundstück oder einem Parkplatz auf die Straße einfahren, müssen die Vorfahrt des fließenden Verkehrs beachten und dürfen diesen nicht gefährden.
  3. Vertrauen auf Vorrang:
    Die auf der Straße fahrenden Fahrzeuge dürfen darauf vertrauen, dass ihre Vorfahrt von einfahrenden oder wendenden Fahrzeugen respektiert wird.
  4. Keine Anwendung der „Lückenrechtsprechung“:
    Die sogenannte „Lückenrechtsprechung“, die beim Überholen einer Fahrzeugkolonne besondere Sorgfaltspflichten auferlegt, gilt hier nicht. Der Unfallgegner hatte keinen Kolonnenverkehr überholt, sondern lediglich einen in zweiter Reihe stehenden Lkw umfahren. Das Umfahren eines einzelnen Hindernisses unterscheidet sich deutlich vom Überholen einer Kolonne, bei der mit querendem Verkehr gerechnet werden muss.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil bestätigt, dass das Vorrangsprinzip im fließenden Verkehr eine zentrale Rolle spielt. Fahrzeugführer, die sich ordnungsgemäß verhalten und auf ihren Vorrang vertrauen, sind nicht verpflichtet, besondere Sorgfaltspflichten zu erfüllen, wenn sie lediglich ein Hindernis auf der Fahrbahn umfahren. Gleichzeitig wird betont, dass Verkehrsteilnehmer, die aus Zufahrten oder Parkplätzen einfahren, für die Sicherheit des Einfahrmanövers verantwortlich sind.

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