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Arbeitsrecht: EuGH: Kirchliche Arbeitgeber müssen unter Umständen auch Konfessionslose einstellen

Der EuGH hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber nicht bei jeder Stelle von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit fordern dürfen; wenn sie diese jedoch verlangen, muss dieses Erfordernis zumindest Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können.

Zur Bedingung dürfe die Zugehörigkeit zu einer Konfession nur gemacht werden, wenn dies für die Tätigkeit „objektiv geboten“ sei, so der EuGH. Außerdem müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.

Frau Vera E., die keiner Konfession angehört, bewarb sich 2012 auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (Deutschland) ausgeschriebene Stelle. Es handelte sich um eine befristete Referentenstelle für ein Projekt, das die Erstellung des Parallelberichts zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung zum Gegenstand hatte. Das Aufgabengebiet umfasste sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit als auch die Koordinierung des internen Meinungsbildungsprozesses. Nach der Stellenausschreibung mussten die Bewerber Mitglied einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche sein. Frau E. wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Da sie eine Benachteiligung aus Gründen der Religion erlitten zu haben glaubte, verklagte sie das Evangelische Werk vor den deutschen Gerichten auf Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 9 788,65 Euro.

Das BAG, bei dem der Rechtsstreit mittlerweile anhängig ist, hat den EuGH in diesem Zusammenhang um die Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG (ABl. 2000, L 303, 16) ersucht. Diese zielt auf den Schutz des Grundrechts der Arbeitnehmer ab, nicht u.a. wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, soll aber auch dem im Unionsrecht – insbesondere in der Charta der Grundrechte der EU – anerkannten Recht der Kirchen (und der anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) auf Autonomie Rechnung tragen.
In diesem Sinne bestimmt die Richtlinie, dass eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) eine mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung aufstellen kann, wenn die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt“. Hierzu hat das BAG ausgeführt, in Deutschland müsse sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung dieser Kriterien nach der Rechtsprechung des BVerfG zum kirchlichen Privileg der Selbstbestimmung auf eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses beschränken.
Das BAG möchte vom EuGH daher insbesondere wissen, ob eine solche beschränkte gerichtliche Kontrolle mit der Richtlinie vereinbar ist.

Der EuGH hat entschieden, dass eine Abwägung im Fall eines Rechtsstreits von einer unabhängigen Stelle und letztlich von einem innerstaatlichen Gericht überprüft werden können muss.

Vorzunehmen sei nach der Richtlinie eine Abwägung zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen (und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) und dem Recht der Arbeitnehmer, insbesondere bei der Einstellung nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, um einen angemessenen Ausgleich herzustellen, so der EuGH.

Wenn eine Kirche (oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend mache, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche (bzw. Organisation), müsse ein solches Vorbringen also Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können. Das angerufene Gericht müsse sich vergewissern, dass die in der Richtlinie für die Abwägung der ggf. widerstreitenden Rechte genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt seien.

Nach Auffassung des EuGH steht es den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zu, über das der angeführten beruflichen Anforderung zugrunde liegende Ethos als solches zu befinden. Gleichwohl haben sie festzustellen, ob die drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt seien.

Demnach haben die staatlichen Gerichte zu prüfen, ob die Anforderung notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche (bzw. Organisation) aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten sei. Zudem müsse die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, d.h., sie müsse angemessen sein und dürfe nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen.

Hinsichtlich der Problematik, die damit zusammenhänge, dass eine Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen entfalte, sondern der Umsetzung in nationales Recht bedürfe, sei darauf hinzuweisen, dass es den nationalen Gerichten obliege, das nationale Recht, mit dem die Richtlinie umgesetzt werde, so weit wie möglich im Einklang mit ihr auszulegen.

Für den Fall, dass es sich als unmöglich erweisen sollte, das einschlägige nationale Recht (hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) im Einklang mit der Antidiskriminierungsrichtlinie – nach ihrer Auslegung im heutigen Urteil des EuGH – auszulegen, hat der EuGH klargestellt, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht das nationale Recht unangewendet lassen müsse.

Da die Charta Anwendung finde, müsse das nationale Gericht nämlich den Rechtsschutz gewährleisten, der dem Einzelnen aus dem Verbot jeder Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung (verankert in Art. 21 der Charta, wobei dieses Verbot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter habe) und dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (niedergelegt in Art. 47 der Charta) erwachse. Sowohl das Diskriminierungsverbot als auch das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verleihen aus sich heraus dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Zivilrechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betreffe, als solches geltend machen könne.

Gericht/Institution: EuGH
Erscheinungsdatum: 17.04.2018
Entscheidungsdatum: 17.04.2018
Aktenzeichen: C-414/16

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 46/2018 v. 17.04.2018

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