Der Existenzkampf nach dem Großschaden: Eine juristische und ökonomische Analyse zur Durchsetzung von Ansprüchen bei schwersten Personenschäden
1. Einleitung: Die Asymmetrie der Macht im Schadensersatzrecht
1.1. Die sozioökonomische Dimension schwerer Personenschäden
Der Eintritt eines schweren Personenschadens – sei es durch einen Verkehrsunfall, einen ärztlichen Behandlungsfehler oder einen Arbeitsunfall – stellt für den Betroffenen eine Zäsur dar, die weit über die physische Verletzung hinausgeht. Es handelt sich um ein Ereignis, das die bürgerliche Existenz in ihren Grundfesten erschüttert und den Geschädigten aus seiner bisherigen Lebensplanung reißt. In der Bundesrepublik Deutschland ereignen sich jährlich hunderttausende Verkehrsunfälle, doch nur ein Bruchteil davon resultiert in sogenannten Personengroßschäden. Diese Fälle, die oft durch Verletzungsbilder wie Tetraplegie (Querschnittslähmung aller vier Gliedmaßen), schwerste Schädel-Hirn-Traumata oder komplexe Polytraumen gekennzeichnet sind, stellen das Zivilrecht und die anwaltliche Praxis vor Herausforderungen, die mit der Abwicklung eines „normalen“ Unfalls nicht vergleichbar sind.
Die juristische Aufarbeitung eines solchen Katastrophenfalls ist kein bloßer Verwaltungsakt, sondern ein hochkomplexer Verteilungskampf. Auf der einen Seite steht der Geschädigte, physisch traumatisiert, oft dauerhaft arbeitsunfähig und auf fremde Hilfe angewiesen, dessen finanzielle Reserven meist schnell aufgebraucht sind. Auf der anderen Seite steht in der Regel ein Haftpflichtversicherer, ein professioneller Akteur mit unbegrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen, dessen primäres Unternehmensziel – bei aller Prosa über Partnerschaftlichkeit – die Minimierung der Schadensaufwendungen (Loss Adjustment) ist.
In diesem Spannungsfeld entscheidet die Qualität der anwaltlichen Vertretung nicht nur über die Höhe einer Abfindung, sondern buchstäblich über die Lebensqualität der nächsten Jahrzehnte. Es geht um die Frage, ob der Mandant in einer adäquaten häuslichen Umgebung mit hochqualifizierter 24-Stunden-Betreuung leben kann oder ob er, verwaltet in einer minimalen Standardversorgung, auf das Niveau des Existenzminimums herabsinkt und schließlich auf staatliche Transferleistungen wie das Bürgergeld angewiesen ist.
1.2. Das Versagen des Generalisten: Der „Anwalt vor Ort“
Ein zentrales Strukturproblem bei der Regulierung von Großschäden ist die falsche Weichenstellung zu Beginn des Mandats. Geschädigte oder ihre Angehörigen tendieren in der Schocksituation dazu, den ihnen bekannten „Haus- und Hofanwalt“ oder eine Kanzlei am Wohnort zu mandatieren. Diese Anwälte sind oft Generalisten, die ein breites Spektrum vom Familienrecht über das Mietrecht bis hin zu allgemeinen Verkehrsordnungswidrigkeiten abdecken.
Die Bearbeitung eines Personengroßschadens erfordert jedoch eine hochgradige Spezialisierung, die ein Generalist strukturell kaum leisten kann. Die Materie tangiert nicht nur das Zivilrecht (§§ 823 ff. BGB, StVG), sondern tiefgreifend das Sozialrecht (§ 116 SGB X, Regress der Sozialversicherungsträger), das Versicherungsvertragsrecht (Deckungssummenproblematik), das Medizinrecht (Verständnis komplexer Verletzungsmuster) und die Versicherungsmathematik (Kapitalisierung von Renten, Sterbetafeln).
Lokale Anwälte neigen aus Unsicherheit und Überlastung dazu, den Weg des geringsten Widerstandes zu wählen. Dies äußert sich in zwei fatalen Strategien:
- Die Flucht in die Feststellungsklage: Anstatt den Schaden konkret zu beziffern und Leistung zu fordern, wird lediglich beantragt festzustellen, dass der Gegner zum Ersatz verpflichtet ist. Dies verschiebt die Probleme nur in die Zukunft, löst aber keinen Zahlungsfluss aus.
- Der Fokus auf das Schmerzensgeld: Schmerzensgeld ist greifbar. Es gibt Tabellen (z.B. Hacks/Ring/Böhm), aus denen man Werte ablesen kann. Ein Vergleich über 80.000 € oder 100.000 € Schmerzensgeld wirkt auf den Laien wie ein Erfolg. Tatsächlich ist das Schmerzensgeld bei Großschäden oft die wirtschaftlich unbedeutendste Position, verglichen mit den Millionenbeträgen, die für Pflege und Verdienstausfall anfallen.
Dieser Bericht analysiert die Mechanismen, mit denen spezialisierte Kanzleien wie die von Rechtsanwalt Bernhard von Boehn gegen diese Unterregulierung vorgehen, und deckt auf, warum die eigentlichen Schadensposten oft das Zehn- bis Hundertfache des Schmerzensgeldes betragen.
2. Die Ökonomie des Personenschadens: Jenseits des Schmerzensgeldes
2.1. Die Marginalität des immateriellen Schadens
In der öffentlichen Wahrnehmung und in US-amerikanischen Justizdramen stehen oft astronomische Schmerzensgeldsummen im Mittelpunkt. Das deutsche Schadensersatzrecht ist jedoch anders konzipiert. Das Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) hat eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion, ist aber in der Höhe durch die Rechtsprechung limitiert. Selbst bei schwersten Schäden werden selten Beträge von über 600.000 € bis 800.000 € als Kapitalbetrag zugesprochen.
Betrachtet man jedoch die Lebenszeit eines 20-jährigen Unfallopfers mit einer Querschnittslähmung, so ist dieser Betrag schnell verbraucht. Die wahren „Titanen“ der Schadensberechnung sind die materiellen Zukunftsschäden. Ein Anwalt, der sich auf das Schmerzensgeld fokussiert, verhandelt nur über die Spitze des Eisbergs und ignoriert den massiven Rumpf unter der Wasseroberfläche, der die Titanic zum Sinken brachte.
2.2. Der Kostenfaktor Pflege: Das 55.000-Euro-Szenario
Die mit Abstand größte Position bei schwersten Personenschäden sind die Kosten für die Heilbehandlung und insbesondere die dauerhafte Pflege (Vermehrte Bedürfnisse gem. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Hier klafft die Schere zwischen der Vorstellung des Laien (und des nicht spezialisierten Anwalts) und der Realität des Pflegemarktes am weitesten auseinander.
2.2.1. Außerklinische Intensivpflege vs. „24-Stunden-Pflege“
Versicherer versuchen regelmäßig, Geschädigte auf kostengünstige Versorgungsformen zu verweisen. Oft wird die sogenannte „24-Stunden-Pflege“ durch entsandte Kräfte aus Osteuropa ins Spiel gebracht, die im Haushalt wohnen (Live-in-Kräfte). Diese Kräfte kosten den Versicherer inklusive Agenturgebühren oft nur ca. 3.000 € bis 3.500 € pro Monat.
Für einen Patienten mit hohem Querschnitt (z.B. Tetraplegie C4 mit Beatmungspflicht) oder schwerem hypoxischen Hirnschaden ist dieses Modell jedoch nicht nur unzureichend, sondern lebensgefährlich und oft rechtswidrig.
- Medizinische Notwendigkeit: Beatmungspflichtige Patienten benötigen examiniertes Fachpersonal, das im Umgang mit Trachealkanülen und Beatmungsgeräten geschult ist. Eine Hilfskraft darf diese medizinische Behandlungspflege nicht durchführen.
- Arbeitszeitrecht: Eine einzelne Kraft kann nicht 24 Stunden arbeiten. Das deutsche Arbeitszeitgesetz und internationale Vorschriften begrenzen die Arbeitszeit. Eine echte 24-Stunden-Abdeckung erfordert im Schichtsystem mindestens 3,5 bis 5 Vollzeitstellen, um Urlaub und Krankheit abzudecken.
2.2.2. Die Kostenexplosion durch Tariftreuegesetze
In den Jahren 2024 und 2025 hat sich die Kostensituation im Bereich der ambulanten Intensivpflege drastisch verschärft. Durch das GVWG (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz) und die Tariftreuepflicht (§ 72 Abs. 3a SGB XI) sind Pflegedienste verpflichtet, ihren Mitarbeitern Tariflöhne zu zahlen. Dies hat die Stundensätze massiv in die Höhe getrieben.
Ein spezialisierter Pflegedienst für außerklinische Intensivpflege kalkuliert heute Stundensätze (Vergütungsvereinbarungen nach § 132a SGB V), die alle Lohnnebenkosten, Zuschläge für Nacht-/Sonntagsarbeit, Overhead und Wagnis/Gewinn enthalten.
Tabelle 1: Kalkulation der monatlichen Pflegekosten bei 24h-Intensivpflege (Stand 2025)
| Position | Berechnungsgrundlage | Monatliche Kosten (ca.) |
| Stundenbedarf | 24 Std. 30,42 Tage (Ø Monat) | 730 Stunden |
| Stundensatz (Tag) | Basissatz Fachkraft (ca. 65 € – 75 €) | – |
| Stundensatz (Nacht/WE) | Inkl. Zuschläge (ca. 80 € – 95 €) | – |
| Mischkalkulation | Ø 75,00 € pro Stunde | 730 * 75,00 € = 54.750 |
| Verbrauchsmaterial | Nicht von Kasse gedeckt | + 500 € |
| Investitionskosten | Anteilig für Geräte/Fahrzeuge | + 800 € |
| Gesamtkosten | ca. 56.050 € / Monat |
Dieser Betrag von über 55.000 € pro Monat entspricht einer jährlichen Belastung von 660.000 €. Über eine Laufzeit von 30 Jahren ergibt sich allein hieraus ein Kapitalbedarf von fast 20 Millionen Euro (ohne Berücksichtigung von Preissteigerungen, die im Gesundheitswesen meist über der allgemeinen Inflation liegen).
Ein Anwalt, der diese Dynamik nicht kennt und einen Abfindungsvergleich über 1 Million Euro empfiehlt, treibt seinen Mandanten in den sicheren Ruin. Sobald die Abfindung verbraucht ist (in diesem Szenario nach weniger als 2 Jahren), fällt der Geschädigte in die Sozialhilfe, da er auf seine Ansprüche verzichtet hat.
2.3. Der Haushaltsführungsschaden: Die unsichtbare Arbeit
Eine weitere Schadensposition, die von Generalisten systematisch vernachlässigt wird, ist der Haushaltsführungsschaden (§ 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Er ersetzt den wirtschaftlichen Wert der Arbeitskraft, die der Verletzte nicht mehr für seinen eigenen Haushalt und den seiner Familie erbringen kann.
2.3.1. Normativer Schaden statt konkreter Ausgabe
Der BGH hat klargestellt, dass dieser Schaden auch dann zu ersetzen ist, wenn keine Ersatzkraft eingestellt wird. Es handelt sich um einen „normativen Schaden“. Das Opfer hat Anspruch auf den Geldbetrag, der theoretisch nötig wäre, um eine Hilfe zu bezahlen.
Versicherer versuchen oft, diesen Schaden „kleinzurechnen“, indem sie argumentieren, der Partner könne die Aufgaben übernehmen (Schadensminderungspflicht). Dies ist jedoch nur in engen Grenzen zumutbar. Die „überobligatorische“ Leistung von Angehörigen darf den Schädiger nicht entlasten.
2.3.2. Berechnungsmethodik
Spezialisierte Anwälte wie RA von Boehn nutzen detaillierte Erhebungsmethoden (z.B. nach Pardey oder Schulz-Borck/Hofmann). Es wird ermittelt, wie viele Stunden der Mandant vor dem Unfall für Kochen, Putzen, Gartenarbeit, Kinderbetreuung, Einkaufen und Behördengänge aufgewendet hat.
Beispielrechnung (Junge Mutter, 2 Kinder, Querschnittslähmung):
- Ausfall: 100% in der Haushaltsführung.
- Stundenbedarf: Laut Tabellenwerken oft 30–40 Stunden/Woche für einen Mehrpersonenhaushalt.
- Stundenlohn: Hier ist der Nettolohn einer qualifizierten Haushaltshilfe anzusetzen (Tarifverträge, oft 15–18 € netto).
- Rechnung: 35 Std./Woche 4,3 Wochen 16 € = 2.408 € netto pro Monat.
- Kapitalwert: Auf 40 Jahre summiert sich dies auf über 1,15 Millionen Euro.
Diese Position wird in Vergleichsgesprächen von Versicherern oft als „Verhandlungsmasse“ betrachtet oder ganz bestritten. Nur wer hier mit detaillierten Stundenerfassungen und der aktuellen BGH-Rechtsprechung argumentiert, kann diesen Anspruch sichern.
2.4. Der Verdienstausfall: Die Vernichtung des Humankapitals
Der Erwerbsschaden (§§ 842, 843 BGB) bemisst sich nicht nur am letzten Netto-Gehalt. Er muss eine Prognose der beruflichen Entwicklung beinhalten.
- Karriere-Aufstieg: Hätte der 25-jährige Ingenieur mit 40 Jahren Abteilungsleiter sein können? Ein Fachanwalt muss diese hypothetische Karriere durch Arbeitsmarktdaten und Zeugenaussagen (Arbeitgeber) plausibilisieren.
- Steuern: Verdienstausfallentschädigungen unterliegen oft der Besteuerung. Daher muss der Schädiger den Bruttobetrag oder einen steuerlichen Nachteilsausgleich zahlen (modifizierte Bruttolohnmethode). Lokale Anwälte übersehen oft die steuerliche Komponente, was dazu führt, dass dem Mandanten am Ende netto deutlich weniger bleibt als der eigentliche Schaden.
3. Strategische Prozessführung: Feststellung vs. Leistung
3.1. Die verhängnisvolle Neigung zur Feststellungsklage
Wie in der Einleitung erwähnt, erheben viele Anwälte bei Großschäden lediglich eine Feststellungsklage. Der Antrag lautet sinngemäß: „Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.“.
3.1.1. Warum Anwälte diesen Weg wählen
- Bequemlichkeit: Man muss den Schaden in der Klageschrift nicht exakt beziffern. Die mühsame Kleinarbeit der Zusammenstellung von Belegen und die Berechnung von Renten entfällt zunächst.
- Kostenrisiko: Der Streitwert einer Feststellungsklage wird oft pauschal mit 80% des geschätzten Schadens angesetzt, was das Kostenrisiko für den Mandanten (oder seine Rechtsschutzversicherung) scheinbar senkt.
- Verjährungshemmung: Die Klage hemmt die Verjährung (§ 204 BGB).
3.1.2. Warum diese Strategie für den Mandanten gefährlich ist
Ein Feststellungsurteil ist nicht vollstreckbar. Es ist lediglich ein „Titel ohne Mittel“. Nach jahrelangem Prozess hält der Mandant ein Urteil in Händen, das ihm Recht gibt – aber kein Geld auf dem Konto.
Er muss nun mit diesem Urteil zurück zur Versicherung gehen und erneut verhandeln. Die Versicherung kann dann die Höhe jeder einzelnen Position bestreiten (z.B. „Ja, wir haften dem Grunde nach zu 100%, aber wir bestreiten, dass 24 Stunden Pflege nötig sind“). Das Spiel beginnt von vorn. Der Mandant ist zermürbt und akzeptiert oft einen schlechten Vergleich, nur um endlich Ruhe zu haben.
Die fatale Verjährungsfalle bei wiederkehrenden Leistungen (§ 197 Abs. 2 BGB):
Ein besonders tückisches Risiko, das selbst erfahrenen Juristen unterlaufen kann, liegt in der Verjährung trotz Urteils. Zwar verjähren rechtskräftig festgestellte Ansprüche grundsätzlich erst nach 30 Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Dies gilt jedoch nicht für künftig fällig werdende Ansprüche auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen.
Die „Schwergewichte“ der Schadensregulierung – der monatliche Haushaltsführungsschaden, die Verdienstausfallrente und die monatlichen Kosten für die 24-Stunden-Pflege – fallen unter die Ausnahmeregelung des § 197 Abs. 2 BGB. Für sie gilt trotz des Feststellungsurteils die kurze regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren.
Das bedeutet: Ruht sich der Anwalt auf dem erstrittenen Feststellungsurteil aus, verjähren die monatlichen Rentenansprüche fortlaufend nach drei Jahren. Nach Ablauf dieser Frist kann die Versicherung die Einrede der Verjährung erheben, und die aufgelaufenen Beträge sind unwiederbringlich verloren. Ein Feststellungsurteil bietet hier keine dauerhafte Sicherheit; es zwingt den Anwalt vielmehr, alle drei Jahre verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen (z.B. Verzichtserklärungen der Versicherung oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen), was bei einer Leistungsklage durch die Vollstreckbarkeit des Titels deutlich effektiver gehandhabt werden kann.
3.2. Die Waffe des Spezialisten: Die Leistungsklage
Rechtsanwalt von Boehn verfolgt in geeigneten Fällen konsequent die Strategie der Leistungsklage oder der Stufenklage.
Hierbei wird dem Gericht die Arbeit nicht erspart. Der Schaden wird bis auf den Cent genau beziffert, Pflegesätze werden dargelegt, Verdienstausfallprognosen werden erstellt.
- Vorteil: Ein Leistungsurteil ist vollstreckbar. Zahlt die Versicherung nicht, kommt der Gerichtsvollzieher (bzw. es wird gepfändet).
- Druck: Die Versicherung weiß, dass sie nicht auf Zeit spielen kann. Das Risiko eines hohen, vollstreckbaren Urteils erhöht die Bereitschaft, frühzeitig adäquate Abschlagszahlungen zu leisten oder einen wirklich fairen Vergleich anzubieten.
3.3. Die richterliche Hürde: § 287 ZPO und die Beweislast
Ein weiteres Problem in der gerichtlichen Durchsetzung ist die Haltung vieler Zivilrichter. Angesichts der Überlastung der Justiz sind komplexe Personenschadensprozesse bei Richtern unbeliebt.
Oft stellen Richter überzogene Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers. Es werden Beweise für kleinste Ausgaben gefordert („Vollbeweis“ gem. § 286 ZPO).
Dabei gibt der Gesetzgeber dem Geschädigten mit § 287 ZPO (Schadensschätzung) ein mächtiges Instrument an die Hand:
„Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden […] belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung.“
Ein Fachanwalt muss im Prozess vehement auf die Anwendung des § 287 ZPO pochen. Er muss dem Richter „Schätzgrundlagen“ liefern, die es dem Gericht ermöglichen, den Schaden ohne peinliche Detailbeweisaufnahme festzusetzen. Dies erfordert jedoch eine präzise Kenntnis der BGH-Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Schätzgrundlage.
4. Das Damoklesschwert: Haftungshöchstgrenzen und Quotenvorrecht
Ein Aspekt, der selbst von erfahrenen Anwälten oft übersehen wird, ist die absolute Obergrenze der Haftung. Dies ist das Feld, auf dem sich bei Großschäden die Spreu vom Weizen trennt.
4.1. Die 15-Millionen-Grenze
Nach § 12 Abs. 1 StVG (Straßenverkehrsgesetz) haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs nur bis zu bestimmten Höchstbeträgen. Zwar bieten viele Versicherer Deckungssummen von 50 oder 100 Millionen Euro für Personen- und Sachschäden pauschal an, doch ist die Leistung für Personenschäden pro geschädigter Person oft auf 8 bis 15 Millionen Euro gedeckelt.
Rechenbeispiel (siehe oben):
- Pflegekosten 30 Jahre: 20 Mio. €
- Verdienstausfall 30 Jahre: 2 Mio. €
- Haushaltsführungsschaden: 1 Mio. €
- Gesamtschaden: 23 Mio. €
Liegt die Deckungssumme bei 15 Mio. €, fehlen 8 Mio. €. Der Schädiger persönlich ist meist nicht in der Lage, diese Differenz zu zahlen. Die Deckungssumme ist „erschöpft“.
4.2. Der Verteilungskampf: Sozialversicherung vs. Opfer
Das Problem verschärft sich dramatisch durch den Forderungsübergang auf Sozialversicherungsträger (Legalzession nach § 116 SGB X).
Krankenkassen, Rentenversicherung und Berufsgenossenschaften zahlen zunächst die Behandlung und das Pflegegeld. Diese Ausgaben holen sie sich vom Haftpflichtversicherer des Gegners zurück (Regress).
Wenn der „Kuchen“ (die Deckungssumme von 15 Mio. €) kleiner ist als der Hunger aller Beteiligten (Gesamtschaden 23 Mio. €), beginnt der Verteilungskampf.
Ohne anwaltliche Steuerung gilt oft das Windhundprinzip: Die professionellen Regressabteilungen der Sozialversicherungsträger melden ihre Ansprüche schnell an und lassen sich aus der Deckungssumme befriedigen. Wenn der Geschädigte Jahre später sein Schmerzensgeld und seinen Haushaltsführungsschaden einklagen will, teilt die Versicherung mit: „Tut uns leid, die Deckungssumme ist leer.“
4.3. Die Rettung: Das Quotenvorrecht des Geschädigten
Um dieses ungerechte Ergebnis zu verhindern, hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Institut des Quotenvorrechts entwickelt und verfeinert.
Vereinfacht ausgedrückt besagt das Quotenvorrecht, dass der Geschädigte unter bestimmten Umständen vorrangig auf die Deckungssumme zugreifen darf, bevor die Sozialversicherungsträger zum Zug kommen.
Dies gilt insbesondere für den quotenbevorrechtigten Direktschaden. Das sind Schadenspositionen, die der Geschädigte nicht von der Sozialversicherung ersetzt bekommt (z.B. Schmerzensgeld, Haushaltsführungsschaden, die Differenz zwischen Netto-Lohn und Krankengeld).
4.3.1. Die Komplexität der Berechnung
Die Berechnung des Quotenvorrechts ist juristische Hochmathematik (Differenztheorie, relative Theorie). Es muss genau differenziert werden:
- Wie hoch ist der Gesamtschaden?
- Wie hoch ist die Haftungsquote (z.B. 100% oder Mitverschulden des Opfers)?
- Welche Ansprüche sind kongruent (gehen auf SV-Träger über) und welche nicht?
- Wie verhält sich die begrenzte Deckungssumme dazu?
Rechtsanwalt von Boehn prüft bei jedem Großschaden sofort die Gefahr der Deckungssummenüberschreitung. Droht diese, wird gegenüber der gegnerischen Versicherung ein Auszahlungsstopp an die Sozialversicherungsträger verfügt, bis die vorrangigen Ansprüche des Mandanten gesichert sind.
Lokale Anwälte übersehen dieses Risiko oft komplett, da sie die Regressansprüche der Sozialträger nicht im Blick haben. Das Erwachen kommt erst, wenn das Geld weg ist.
5. Die Gegner: Versicherungen und Justizsystem
Die Durchsetzung dieser Ansprüche findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern gegen massive Widerstände.
5.1. Kritik an der Versicherungswirtschaft: Systematische Verzögerung
Versicherer profitieren von Verzögerungen (Zinsgewinne). Die Taktiken sind vielfältig:
- Grundlose Ablehnung: Trotz klarer Polizeiakte wird die Haftung dem Grunde nach bestritten oder ein Mitverschulden konstruiert.
- „Salami-Taktik“: Vorschüsse werden nur scheibchenweise und weit unter Bedarf gezahlt, um den Geschädigten finanziell kurz zu halten.
- Gutachter-Hopping: Legt der Geschädigte ein Gutachten vor, beauftragt die Versicherung ein Gegengutachten.
- Biometrische Gutachten: Besonders perfide ist der Versuch, die Lebenserwartung des Schwerstverletzten künstlich niedrig zu rechnen. Versicherer beauftragen Aktuare, die statistisch darlegen sollen, dass ein Querschnittsgelähmter früher stirbt, um so die Rückstellungen für die lebenslange Rente drastisch zu kürzen. Diese Praxis ist ethisch fragwürdig, muss aber mit medizinischen Gegengutachten bekämpft werden.
Die Macht der Rückstellungen: 90% der Reserven für Personenschäden
Ein entscheidender Grund für das zögerliche Regulierungsverhalten liegt in der Bilanzstruktur der Versicherer. Zwar machen schwere Personenschäden („Großschäden“) zahlenmäßig nur einen Bruchteil aller gemeldeten Unfälle aus, sie binden jedoch den absoluten Großteil des Kapitals. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 90 % der Schadenrückstellungen in der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung auf Personenschäden entfallen.
Für den Versicherer sind diese Rückstellungen mehr als nur eine Verbindlichkeit: Solange das Geld nicht an das Opfer ausgezahlt wird, verbleibt es im Unternehmen und kann am Kapitalmarkt angelegt werden (Asset-Liability-Management). Jeder Monat Verzögerung bei der Auszahlung eines Millionenschadens generiert für den Konzern Zinserträge. Dieser ökonomische Anreiz steht diametral dem Interesse des schwerverletzten Opfers entgegen, das auf eine schnelle Existenzsicherung angewiesen ist. Die Versicherung „verdient“ also buchstäblich an der Prozessdauer.
5.2. Kritik am Justizsystem: Überlastung und Strukturdefizite
Auch der Gang zu Gericht ist kein Garant für schnelle Hilfe.
- Lange Verfahren: Arzthaftungs- und Großschadensprozesse dauern in Deutschland oft 5 bis 8 Jahre, teilweise über 10 Jahre durch die Instanzen.
- Richterwechsel: Aufgrund von Beförderungen, Elternzeiten oder Versetzungen wechselt in langen Verfahren oft mehrfach der Vorsitzende Richter. Jeder neue Richter muss sich in tausende Seiten Akten einlesen. Die „Unmittelbarkeit“ der Beweisaufnahme (der persönliche Eindruck vom geschädigten Kläger) geht verloren.
- Fehlende Spezialisierung: Außerhalb spezialisierter Kammern treffen Anwälte oft auf Richter, die mit der Berechnung eines Haushaltsführungsschadens oder dem Quotenvorrecht schlicht überfordert sind.
Hier zeigt sich der Wert eines Fachanwalts: Er muss den Richter „führen“, die Rechtslage mundgerecht aufbereiten und durch präzise Schriftsätze verhindern, dass das Gericht in Fehler abgleitet.
Proaktive Formulierung des Beweisbeschlusses:
Ein erfahrener Anwalt darf sich auch nicht zu schade sein, dem Gericht die Arbeit abzunehmen und den Beweisbeschluss faktisch vorzuformulieren. Gerade bei hochkomplexen medizinischen oder unfallanalytischen Fragestellungen neigen überlastete Richter dazu, standardisierte oder unpräzise Beweisfragen an die Sachverständigen zu stellen, die am Kern des Problems vorbeigehen.
Um „unsinnige“ Beweisbeschlüsse zu verhindern, die das Verfahren um Jahre verzögern und unbrauchbare Gutachten produzieren, reicht Rechtsanwalt von Boehn detaillierte Fragenkataloge ein. Diese sind so formuliert, dass sie direkt in den gerichtlichen Beschluss übernommen werden können. Dies stellt sicher, dass der Sachverständige exakt die Fragen beantwortet, die für die Durchsetzung der Ansprüche (z.B. zur Kausalität bestimmter Pflegebedarfe oder zur Prognose der Erwerbsfähigkeit) entscheidend sind.
6. Soziale Verantwortung: Prozesskostenhilfe (PKH) statt Bürgergeld
6.1. Die ökonomische Barriere des Rechtszugangs
Ein Großschaden führt oft zum sofortigen Wegfall des Arbeitseinkommens. Krankengeld läuft nach 78 Wochen aus. Viele Geschädigte rutschen in das Bürgergeld (ehemals Hartz IV).
In dieser Situation scheuen sie den Gang zum Spezialisten, da sie Anwaltskosten fürchten. Rechtsschutzversicherungen haben oft Deckungsgrenzen oder kündigen den Vertrag nach dem ersten Schadensfall.
Viele Großkanzleien lehnen Mandate ab, wenn keine Rechtsschutzversicherung besteht oder der Mandant nicht liquide ist. Sie arbeiten nur auf Stundenhonorarbasis (250 € – 400 €/Stunde), was für einen Bürgergeldempfänger illusorisch ist.
6.2. Das Angebot von Rechtsanwalt von Boehn: Waffengleichheit herstellen
Rechtsanwalt Bernhard von Boehn vertritt einen anderen Ansatz. Er übernimmt diese Fälle auch auf Basis von Prozesskostenhilfe (PKH).
- Das Prinzip: Wenn eine Partei die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, aber die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, übernimmt die Staatskasse die Gerichtskosten und die Gebühren des eigenen Anwalts.
- Warum Anwälte PKH oft meiden: Die Gebühren, die der Staat bei PKH zahlt, sind bei hohen Streitwerten (über 50.000 €) gedeckelt und deutlich niedriger als die regulären Wahlanwaltsgebühren. Ein Anwalt „verschenkt“ also Geld, wenn er auf PKH-Basis arbeitet.
- Die Motivation: Für RA von Boehn ist dies ein Gebot der anwaltlichen Ethik und der sozialen Gerechtigkeit. Es darf nicht sein, dass ein Versicherer gewinnt, nur weil das Opfer sich keinen guten Anwalt leisten kann. Zudem ist die Bewilligung von PKH oft ein erstes wichtiges Signal an die Versicherung: Ein Richter hat den Fall geprüft und die Erfolgsaussichten bejaht.
Das Ziel dieser Strategie ist klar: Raus aus dem Bürgergeld. Durch die Erstreitung von angemessenem Verdienstausfall und Renten soll der Mandant wieder finanziell unabhängig werden und seinen Lebensunterhalt aus den Zahlungen des Schädigers bestreiten können, statt dem Steuerzahler zur Last zu fallen.
7. Fazit: Spezialisierung ist alternativlos
Die Analyse zeigt, dass die Regulierung von Personengroßschäden ein Minenfeld ist. Jeder Schritt – von der Wahl des Anwalts über die Art der Klage bis zur Berechnung der Deckungssumme – birgt Risiken, die über die wirtschaftliche Existenz entscheiden.
Lokale Anwälte, so engagiert sie sein mögen, verfügen oft nicht über das juristische Rüstzeug und die Erfahrung, um in diesem hochspezialisierten Bereich gegen die Rechtsabteilungen der Versicherungskonzerne zu bestehen. Die Gefahr, sich mit einem schnellen Vergleich und einer Feststellungsklage abspeisen zu lassen, ist real und hat verheerende Folgen.
Wer Beträge von 55.000 € monatlich für Pflege sichern muss, wer Haushaltsführungsschäden in Millionenhöhe durchsetzen will und wer das Quotenvorrecht gegen den Zugriff der Sozialkassen verteidigen muss, benötigt einen Partner, der diese Klaviatur virtuos beherrscht.
Die Kanzlei von Rechtsanwalt Bernhard von Boehn bietet genau diese Expertise – bundesweit, kompromisslos in der Sache und, wenn nötig, auf Basis von Prozesskostenhilfe, um auch den wirtschaftlich Schwächsten zu ihrem Recht zu verhelfen.
8. Kontakt und Ersteinschätzung
Für Betroffene und Angehörige bietet Rechtsanwalt von Boehn eine kostenlose Ersteinschätzung an, um zu prüfen, ob Ansprüche übersehen wurden oder ob eine laufende Regulierung korrigiert werden muss.
Rechtsanwalt Bernhard von Boehn