Das Problem: Einseitige Aufrechnung durch Krankenversicherer
In der Praxis häufen sich Fälle, in denen Krankenversicherer einseitig die Aufrechnung erklären: Sie verrechnen bestrittene Rückforderungsansprüche (z.B. angeblich überzahltes Krankengeld) mit laufenden Leistungsansprüchen des Versicherungsnehmers (wie Arztleistungen). Besonders problematisch: Oft setzen Versicherer diese Aufrechnung auch dann fort, wenn der Versicherungsnehmer der Gegenforderung ausdrücklich widerspricht.
Die rechtliche Ausgangslage
Diese Praxis ist in vielen Fällen rechtswidrig – sowohl nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) als auch nach der allgemeinen Gesetzeslage. Die rechtlichen Grundlagen hierfür finden sich im BGB, insbesondere in den §§ 387 ff.
Voraussetzungen für eine wirksame Aufrechnung
Laut Grüneberg/Grüneberg (BGB § 387 Rn. 11) muss eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung vollwirksam und fällig sein (BGH NJW-RR 2009, 407; 2011, 1142). Das bedeutet:
- Es muss sich um eine Forderung handeln, deren Erfüllung erzwungen werden kann
- Der Forderung darf keine Einrede entgegenstehen (siehe § 390 BGB)
Wann ist eine Aufrechnung unzulässig?
Nicht aufrechenbar sind insbesondere:
- Künftige oder aufschiebend bedingte Ansprüche (BGH NJW-RR 2009, 407)
- Gestundete Ansprüche
- Durch Fristablauf erloschene Ansprüche (BAG NJW 1968, 813)
- Ansprüche aus Spiel oder Wette
- Vorsteuererstattungsansprüche (BFH ZIP 2007, 829)
Konsequenzen für den Fall der Krankenversicherung
Überträgt man diese Grundsätze auf die Krankenversicherung, ergibt sich:
- Bestrittene Rückforderungsansprüche sind nicht fällig: Wenn der Versicherungsnehmer die Rückforderung des Krankenversicherers substantiiert bestreitet, fehlt es an einer fälligen Gegenforderung.
- Aufrechnung gegen AVB-Regelungen: Viele Allgemeine Versicherungsbedingungen enthalten spezifische Regelungen zur Aufrechnung, die oft strenger sind als die gesetzlichen Vorgaben. Verstoßen Krankenversicherer gegen diese selbst gesetzten Regeln, ist die Aufrechnung unwirksam.
- Recht auf ungekürzten Leistungsbezug: Solange die Gegenforderung nicht rechtskräftig feststeht, hat der Versicherungsnehmer grundsätzlich ein Recht auf ungekürzten Bezug seiner Versicherungsleistungen.
Wie können sich Versicherungsnehmer wehren?
Wenn Ihr Krankenversicherer unzulässig aufrechnet, können Sie folgende Schritte ergreifen:
- Schriftlicher Widerspruch: Legen Sie unverzüglich schriftlich Widerspruch gegen die Aufrechnung ein unter Hinweis auf die fehlende Fälligkeit der Gegenforderung.
- Prüfung der AVB: Überprüfen Sie die für Ihren Vertrag geltenden Versicherungsbedingungen auf spezifische Aufrechnungsregelungen.
- Einstweiliger Rechtsschutz: Bei dringenden Leistungen (z.B. notwendige medizinische Behandlungen) kann ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erwogen werden.
- Klage auf Leistung: Letztlich kann eine Leistungsklage notwendig werden, in der das Gericht auch über die Wirksamkeit der Aufrechnung entscheiden muss.
Fazit
Die Praxis mancher Krankenversicherer, bestrittene Rückforderungsansprüche eigenmächtig durch Aufrechnung durchzusetzen, steht häufig im Widerspruch zur Rechtslage. Versicherungsnehmer sollten ihre Rechte kennen und sich gegen unzulässige Aufrechnungen zur Wehr setzen.
Eine fachkundige rechtliche Beratung kann Ihnen helfen, Ihre Ansprüche durchzusetzen und ungerechtfertigte Kürzungen Ihrer Versicherungsleistungen abzuwehren.
Hinweis: Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung im Einzelfall dar, sondern gibt einen allgemeinen Überblick über die Rechtslage. Für individuelle Fragen wenden Sie sich bitte an Rechtsanwalt von Boehn, Fachanwalt für Versicherungsrecht.