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Arbeitsrecht: BAG: Kündigung – Täuschung über die vorläufige Impfunfähigkeit

Leitsatz

Ein in der Patientenversorgung eingesetzter Arbeitnehmer, der im Geltungsbereich von § 20a IfSG idF vom 10. Dezember 2021 wahrheitswidrig behauptet, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, verletzt in erheblicher Weise eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht.

Die Sache ist nicht mehr ganz taufrisch, sie spielt in der Corona-Zeit. Die Klägerin war seit 1988 in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus beschäftigt, zuletzt als Pflegehelferin.

Das Krankenhaus bat um Vorlage der von § 20a Abs. 2 IfSG in der Fassung vom 10. Dezember 2021 (im Folgenden IfSG aF) verlangten Nachweise, darunter ggf. ein solcher, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden konnten.

Die Klägerin legte der Beklagten eine auf den 4. Januar 2022 datierte „Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2“ vor, die sie im Internet nach Zahlung einer Gebühr und Eingabe ihrer persönlichen Daten generiert und ausgedruckt hatte. In der Bescheinigung heißt es, dass „dieser Patient“ aufgrund der ärztlichen Einschätzung und Bewertung seiner Angaben vor einer Impfung mit Covid-19-Impfstoffen von einem Facharzt für Allergologie überprüft werden müsse. Bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens sei „der Patient“ zeitlich begrenzt bis zum 4. Juli 2022 impfunfähig und es bestehe die Gefahr, dass „der Patient“ durch eine Impfung schwere, ggf. sogar tödliche Nebenwirkungen erleben könne. Kontakt mir der angeblichen Ärztin hatte die Klägerin nicht.

Die Beklagte informierte gemäß § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG aF das zuständige Gesundheitsamt, welches am 19. Januar 2022 mitteilte, dass die Bescheinigung aus dem Internet heruntergeladen sei und somit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhe. Die unterzeichnende Ärztin sei dort nicht bekannt.Randnummer6

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien – nach Anhörung des Betriebsrats – mit Schreiben vom 24. Januar 2022, der Klägerin am selben Tag zugegangen, außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31. August 2022.

Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage war über alle Instanzen erfolglos. Das BAG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Es nimmt einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB an. Die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung erwecke für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es habe ein individueller Kontakt mit einer Ärztin unter Einschluss einer Anamnese stattgefunden. Es handele sich gerade nicht um die bloße Wiedergabe einer allgemeinen medizinischen Auffassung. 

… dass eine Aussage zur Impfunfähigkeit der Klägerin für einen bestimmten Zeitraum getroffen wurde (zutreffend Kamanabrou RdA 2023, 188, 190), die es dieser ggf. ermöglichen sollte, trotz Fehlens eines Nachweises gemäß § 20a Abs. 2 IfSG aF für einen erheblichen Zeitraum über den 15. März 2022 hinaus, nämlich zumindest bis zum 4. Juli 2022, „sanktionslos“ für die Beklagte tätig zu sein.

Als Kündigungsgrund ist ihr anzulasten, dass sie bewusst wahrheitswidrig vorgegeben hat, eine solche sei von einer Ärztin aufgrund einer Untersuchung (Anamnese) festgestellt worden. 

BAG, Urteil vom 14. Dezember 2023 – 2 AZR 55/23 –