Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bei Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten ist für Versicherungsverträge in § 22 VVG in Verbindung mit § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB geregelt. Gemäß § 22 VVG bleibt das Recht des Versicherers zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausdrücklich erhalten. Der Bundesgerichtshof (BGH) betont hierzu, dass der Gesetzgeber neben den Regelungen der §§ 19 bis 21 VVG bewusst das Recht zur Arglistanfechtung bestehen ließ (BGH, Urteil vom 25.11.2015 – IV ZR 277/14).
Anforderungen an die Anfechtungserklärung
Die Anfechtung muss gemäß § 143 Abs. 1 BGB durch den Versicherer erklärt werden und unterliegt keiner besonderen Formpflicht. Nach der Rechtsprechung genügt es, wenn die Erklärung klar erkennen lässt, dass der Vertrag rückwirkend beseitigt werden soll. Die ausdrückliche Verwendung des Begriffs „Anfechtung“ ist nicht notwendig. Die Erklärung kann sogar noch im laufenden Gerichtsprozess erfolgen, sofern sie innerhalb der gesetzlichen Anfechtungsfrist erfolgt.
Der Versicherer muss in der Erklärung den Grund der Anfechtung zumindest so klarstellen, dass der Vertragspartner erkennen kann, worauf sich die Anfechtung stützt. Ein Nachschieben von Anfechtungsgründen nach Ablauf der Anfechtungsfrist ist unzulässig.
Wer ist Anfechtungsgegner?
Anfechtungsgegner ist nach § 143 Abs. 2 BGB grundsätzlich der Vertragspartner. Im Versicherungsrecht bestehen jedoch besondere Konstellationen, insbesondere bei Fremdversicherungen. Nach Auffassung des OLG Hamm (Beschluss vom 29.9.2020 – 20 U 64/20) ist eine Anfechtung sowohl gegenüber dem Versicherungsnehmer als auch gegenüber der versicherten Person möglich, wenn diese als Nichtdritter im Sinne des Gesetzes anzusehen ist. Auch eine Anfechtung gegenüber einem Bezugsberechtigten, der gleichzeitig Erbe ist, wurde von der Rechtsprechung zugelassen.
Was bedeutet „arglistige Täuschung“?
Eine arglistige Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer wissentlich falsche Tatsachen angibt oder wahre Tatsachen verschweigt, um den Versicherer zu täuschen. Der bloße Umstand falscher Angaben genügt für den Tatbestand der Arglist nicht automatisch. Erforderlich ist zusätzlich, dass der Versicherungsnehmer wusste oder billigend in Kauf nahm, dass der Versicherer den Vertrag bei wahrheitsgemäßer Angabe nicht oder nur zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte.
Täuschung durch aktives Tun und durch Unterlassen
Wird aktiv getäuscht, beispielsweise durch falsche Angaben im Versicherungsantrag, besteht eine arglistige Täuschung unabhängig von einer expliziten Offenbarungspflicht. Bei Täuschung durch Verschweigen ist entscheidend, ob der Versicherer den betreffenden Umstand zuvor erfragt hat oder ob ausnahmsweise eine spontane Anzeigepflicht bestand.
Die herrschende Meinung geht davon aus, dass eine arglistige Täuschung auch bei mündlichen oder formell nicht korrekten Fragen des Versicherers möglich ist.
Frist zur Anfechtung
Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung muss binnen eines Jahres ab positiver Kenntnis der Täuschung erfolgen (§ 124 Abs. 1 BGB). Bloße Verdachtsmomente oder ein Kennenmüssen reichen hierfür nicht aus.
Fazit
Versicherer verfügen neben den spezialgesetzlichen Rechten (§§ 19-21 VVG) über das allgemeine Recht zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 22 VVG, § 123 BGB. Entscheidend sind hierbei die korrekte Erklärung der Anfechtung und die Beachtung der Jahresfrist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Arglist trägt stets der Versicherer.